30.10.2022

Schlechte Strassen, Badeurlaub und ein schönes Wiedersehen in Kirgistan (50)

Zentralasien Teil 2:  Von der Grenze entlang dem Issyk-Kul nach Kochkor

Nach unseren ersten Eindrücken von Zentralasien in Kasachstan (Reisebericht Kasachstan) konnten wir es kaum erwarten, die Naturlandschaften und liebevollen Eigenheiten der weiteren zentralasiatischen Länder kennenzulernen. Als nächstes stand Kirgistan auf dem Plan, bzw. wir kurz nach der Karkara-Grenze auf einer miserablen Strasse. Zwar sind wir nun eigentlich auf der Hauptstrasse unterwegs, jedoch fehlt von Asphalt jede Spur. Unser nächstes Ziel ist die Stadt Karakol, doch auf dem Weg dorthin machen wir noch einen Abstecher ins Wandergebiet Jyrgalan. Unser Weg führt über eine steile Schotterpiste und wir können nur noch fluchend unsere Räder hochstossen. Kaum erreichen wir die Passhöhe, beginnt es zu regnen. Kein idealer Start für unsere Kirgistan-Reise, doch die Landschaft entschädigt für alles. Wir fahren durch ein abgelegenes Tal, in welchem viele Einheimische den Sommer über in ihren Jurten leben. Keine Touristenjurten weit und breit, wir erleben gleich am ersten Tag das ursprüngliche Kirgistan. Einen Zeltplatz zu finden ist dafür gar nicht so leicht in dieser Gegend, denn wirklich an jeder ebenen Fläche stehen Jurten. Als wir dann doch noch ein Plätzchen finden, fährt plötzlich Joan an uns vorbei, ein Bikepacker aus Frankreich, der mit uns zusammen im Flieger nach Almaty war. Er ist sehr minimalistisch unterwegs und entsprechend viel schneller als wir, trotzdem freuen wir uns sehr, dass wir wenigstens einen Abend zusammen zelten können. Allgemein sehen wir diesen Sommer viel mehr Touristen als in den zwei Jahren vorher und besonders in Kirgistan treffen wir nun fast täglich auf andere Radreisende.

Willkommen in Kirgistan
Willkommen in Kirgistan

Jyrgalan: Kirgisische Schweiz mit Jurten

Der kleine Ort Jyrgalan liegt ganz im Osten des Landes am Ende eines Tales. Bis Anfang der Neunziger lebten die Einheimischen vom Kohleabbau, wovon noch eine Miene zeugt. Nach Zusammenbruch der Sowjetunion kam dieser Wirtschaftszweig zum Erliegen und viele verloren ihre Jobs und der Ort drohte auszusterben. Man beschloss auf den Tourismus zu setzen und mit der Unterstützung der amerikanischen Entwicklungshilfe USAID wurde der Grundstein für die touristische Entwicklung gelegt. Es wurden Unterkünfte erbaut und es werden Wander- und Reittouren angeboten. Die Hauptsaison ist jedoch im Winter, wenn die Wintersportler einfallen und den unberührten Pulverschnee geniessen. Da es in Jyrgalan keine Skilifte gibt, übernehmen Pferde die Aufgabe, die Wintersportler auf den Berg zu befördern. Das ist wohl einzigartig auf der Welt und kann so auch nur in Kirgistan vorkommen.

Auch die Kirgisen aus den Städten kommen gerne nach Jyrgalan, jedoch nicht für die Wanderungen und Skitouren, sondern für eine besondere Detox-Kur à la Kirgistan bei der man täglich Kumys, vergorene Stutenmilch, trinkt. Wer nun jedoch von einem etablierten Touristenort ausgeht, wird sich bei der Ankunft im Dorf wundern. Wir hatten das Gefühl wir entdeckten einen Ort, der sich gerade erst behutsam für den Tourismus öffnet. Die Naturstrassen verwandeln sich bei Regen in Schlammpisten, die Infrastruktur besteht aus einer Moschee, einer Schule und drei kleinen Läden und abends finden sich im Dorf mehr Kühe als Menschen. Uns gefällt es hier auf Anhieb.

Wir bleiben drei Nächte im Guesthouse Ala-Kol und unternehmen Wanderungen zum Turnalu Lake und einem versteckten Wasserfall. Die Landschaft mit ihren Wäldern, grünen Wiesen und den Kühen überall erinnert uns stark an die Schweiz und wir geniessen es sehr mal wieder in einer solch grünen Landschaft unterwegs zu sein, ein völliger Kontrast zu den Canyons in Kasachstan. Zudem kommen wir auch das erste Mal in Berührung mit der kirgisischen Küche, die besser und abwechslungsreicher ist als erwartet. Besonders das Gericht Oromo ist erwähnenswert, eine Art kirgisischer Teigtaschen, die mit Zwiebeln, Kohl und Karotten gefüllt und mit Sauerrahm serviert werden.

Genau zwei Jahre sind wir nun unterwegs und immer noch happy
Genau zwei Jahre sind wir nun unterwegs und immer noch happy
Es gibt keine markierten Wanderwege um Jyrgalan und man folgt mehrheitlich den Trampelpfaden, welche die Tiere benutzen
Es gibt keine markierten Wanderwege um Jyrgalan und man folgt mehrheitlich den Trampelpfaden, welche die Tiere benutzen
Turnalu Lake
Turnalu Lake

Heisse Quellen, kalte Suppen und ein schönes Wiedersehen in Karakol

Ich muss zugeben ich war vor fünf Jahren bereits einmal in Kirgistan und Usbekistan und ich hatte Karakol (84'000 Einwohner) als einen ziemlich verschlafenen Ort ohne viel touristische Infrastruktur in Erinnerung. Der Dorfcharakter ist abseits der Hauptstrasse definitiv geblieben, doch die lebendige Stadt mit ihren grünen Strassen und Parks ist in den letzten Jahren zu einem beliebten Ausgangspunkt für Wanderungen geworden und es haben einige nette Cafés / Restaurants eröffnet. Die Hauptattraktion ist die Kathedrale der Heiligen Dreifaltigkeit, ein wunderschöner Holzbau mit Zwiebeltürmen.

Die russisch-orthodoxe Kathedrale wurde komplett aus Holz erbaut
Die russisch-orthodoxe Kathedrale wurde komplett aus Holz erbaut
Diese farbenfrohen Häuser stehen in krassem Gegensatz zu den tristen Sowjetwohnblocks
Diese farbenfrohen Häuser stehen in krassem Gegensatz zu den tristen Sowjetwohnblocks

Doch an erster Stelle steht für uns in Karakol das Treffen mit Lukas von Sense of Travel und seiner Reisegruppe. Einerseits haben wir nun endlich wieder eine gute Kamera, andererseits dürfen wir uns der Gruppe anschliessen und dadurch werden uns ganz besondere Erlebnisse geboten, die wir wohl als Individualreisende nicht gehabt hätten. Wir besuchen den Sattler Almat, der in Familientradition Qualitätssättel auf Bestellung herstellt, ein Handwerk über das wir vorher so gut wie nichts wussten. Und da wir im Land der Pferde und Nomaden sind, verwundert es auch nicht, dass er bis heute von diesem Beruf leben kann und sogar gut bezahlte Aufträge aus dem Ausland erhält. Ein Qualitätssattel kann mehrere Jahrzehnte halten und gilt in Kirgistan immer noch als Statussymbol und wird auch gerne bei Hochzeiten als Geschenk überreicht.

Wir dürfen auch mehr erfahren über die Dungan-Kultur. Der Begriff Dungan wurde in der Sowjetunion verwendet, um muslimische Einwanderer aus der chinesischen Provinz Xinjiang zu bezeichnen, welche im 19. Jahrhundert nach Zentralasien gekommen und bis heute geblieben sind. Sie haben nicht nur ihre Kultur mitgebracht, sondern zum Glück auch ihre einzigartige Küche. Dadurch gibt es in Karakol die Möglichkeit einige ganz besondere leckere Gerichte zu probieren, die von der zentralasiatischen Standardküche abweichen und die Stadt ist zu einer Art Foodie-Hotspot geworden, wenigstens für zentralasiatische Verhältnisse.

Eines der kulinarischen Highlights ist für uns die Speise Ashlan-Fu, eine scharfe, kalte vegetarische Nudelsuppe mit Knoblauch, Chili und Schnittlauch. Am Markt kann man die Suppe an verschiedenen einfachen Ständen probieren und isst dazu traditionell Piroshkis, welche mit Kartoffeln gefüllt sind. Am Abend sind wir bei einer Dungan-Familie zum Essen eingeladen und neben Ashlan-Fu erwarten uns hier zahlreiche weitere Gerichte aus der Dungan-Küche und es ist für uns das leckerste zentralasiatische Essen überhaupt. Nach dem Essen erfahren wir von der Gastgeberin mehr über die Dungan-Kultur, die traditionellen Kleider und die Hochzeitszeremonie. Ein wunderbarer Abschluss von diesem interessanten Abend.

Ashlan-Fu gibt es nur in der Region Karakol
Ashlan-Fu gibt es nur in der Region Karakol
Abendessen bei einer Dungan Familie
Abendessen bei einer Dungan Familie

Wir machen auch einen Ausflug zu heissen Quellen in der Nähe von Altyn-Arashan. Die Quellen sind bei den Einheimischen sehr beliebt und es ist voll mit fröhlich planschenden Kindern. Nach all den gefahrenen Kilometern in das heisse Wasser zu gleiten ist einfach unbezahlbar. Die Abkühlung folgt danach mit einem Eimer mit kaltem Flusswasser.

Nach so viel Entspannung überlegen wir uns noch die beliebte mehrtägige Wanderung zum Bergsee Ala-Kol zu unternehmen, doch wir müssten extra dafür Rucksäcke und ein leichteres Zelt mieten und zudem steht das Wetter nicht auf unserer Seite und es könnte regnen und weiter oben schneien. Wir entscheiden uns dafür, ebenfalls weiterzureisen. Wir verabschieden uns von Lukas und der Reisegruppe und fahren weiter zum Issyk-Kul, dem zweitgrössten und zweithöchst gelegenen Gebirgssee weltweit (nach dem Titicaca-See).

Abschied von Lukas von Sense of Travel
Abschied von Lukas von Sense of Travel

Badeferienfeeling am Issyk-Kul und ein versteinerter Drache

Der Name Issyk-Kul bedeutet übersetzt «Warmer See», da er aufgrund seiner Tiefe und dem Salzgehalt auch im Winter nicht zufriert. Die weitläufigen Sandstrände, das klare Wasser und im Hintergrund die Gipfel des Tian Shan bilden eine traumhafte Kulisse und zwischen Juni und September strömen zahlreiche Urlauber aus Kirgistan und den umliegenden Ländern an den See, besonders nach Cholpan-Ata, dem bekanntesten Ferienresort an der Nordküste. Wir beschränken uns jedoch auf die weniger zugebaute und naturbelassenere Südküste. Während wir in den ersten Tagen in Kirgistan regelmässig Regenschauer hatten, bessert sich nun das Wetter und es kommt richtiges Sommerfeeling auf, als wir entlang dem See fahren. Wir passieren zahlreiche Dörfer und die Strände werden auch von den Einheimischen rege besucht. Eine Gruppe Kinder lässt sich mit einem Eselskarren an den Strand bringen und hat sichtlich Freude dabei. Weniger Freude bereitet die Strasse, die dann doch nicht so asphaltiert ist wie erhofft, denn es wird gerade eine komplett neue breite Strasse gebaut und die kilometerlange Baustelle sorgt für viele Schlaglöcher und Staub in der Luft. Es ist trotzdem herrlich von Strand zu Strand zu fahren und immer wieder ins klare Wasser zu springen und wir entscheiden einen kompletten Badeferientag einzulegen, da wir ja diesen Sommer sonst kein Meer haben.

Der Issyk-Kul erfüllt unsere Sehnsucht nach Meer und Strand
Der Issyk-Kul erfüllt unsere Sehnsucht nach Meer und Strand
Glasklares Wasser und angenehme Badetemperaturen im Sommer
Glasklares Wasser und angenehme Badetemperaturen im Sommer

Wir beziehen unsere erste Jurte auf der Reise und schlafen abends in dicke Decken eingemummelt mit Blick auf das hölzerne Tunduk ein, das offene Jurtendach. Man fühlt sich herrlich geborgen in so einer Jurte und für uns ist schnell klar, das machen wir sicher nochmals in Kirgistan. Der Sandstrand liegt direkt vor unserem Jurtencamp und wir könnten noch Tage hier verbringen, doch am besten lassen wir an dieser Stelle mal Bilder sprechen.

Jurtencamp in Tosor
Jurtencamp in Tosor

Wir fühlen uns sehr wohl beim Nichtstun am See, dass wir am liebsten unseren Aufenthalt im Jurtencamp Tosor verlängern würden, doch es ist Hochsaison und alles ausgebucht. Somit müssen wir weiter, doch auch das Hinterland lohnt einen Besuch. Wir machen einen Abstecher ins schöne bewaldete Tal Jety-Oguz und haben einen wunderbaren Zeltplatz mit Bergsicht. Das Tal ist auch bekannt für seine roten Sandsteinformationen und die Kombination aus Grün- und Rottönen ist einmalig. Doch auch eine tägliche Portion orange gibt es für uns, denn wir kommen an zahlreichen Aprikosen- und Sanddornbäumen vorbei und bedienen uns.

Besonders am frühen Morgen oder vor Sonnenuntergang lohnt sich ein Besuch vom Skazka Canyon, der auch als Märchencanyon bekannt ist durch seine bizarren Felsformationen in unterschiedlichen Farben.

Eindrücklicher Skazka Canyon
Eindrücklicher Skazka Canyon

An dieser Stelle muss man vielleicht erwähnen, dass die Kirgisen eine Vorliebe für Legenden und Geschichten haben. Gut, damit sind sie natürlich nicht alleine in der Welt. Doch wirklich jeder See scheint nicht einfach ein normaler See zu sein und auch dieser Canyon wurde nicht einfach nur über die Jahrmillionen von Wind und Wetter geformt, nein, ein Drache war schuld. Gemäss Legende befanden sich früher in der Gegend vom heutigen Issyk-Kul mehrere Städte und der Drache verliebte sich in eine Stadtbewohnerin, die ihn ablehnte (harte Zeiten). Das konnte er nicht so auf sich sitzen lassen und verfluchte daher das Tal, sorgte damit für eine Flut und den heutigen Issyk-Kul. Als er jedoch das Ausmass der Zerstörung sah, war er davon so erschrocken, dass er sich und alles um ihn herum in Stein verwandelte, wovon noch heute die besonderen Felsformationen im Canyon zeugen. Eine davon ähnelt der chinesischen Mauer, keine Ahnung jedoch, was diese beim Rundumschlag des Drachens vor Ort zu suchen hatte. Sind solche Geschichten nicht einfach wunderbar? Der Mensch muss wohl nach Erklärungen suchen für besondere Naturgewalten. Die Kirgisen sind dabei wohl einfach nur besonders kreativ.

Wind und Staub auf dem Weg nach Kochkor

Nach ein paar Tagen verlassen wir den Issyk-Kol und biegen endlich von der mühsamen Baustelle ab auf eine kleine Naturstrasse. Doch zu früh gefreut, heute erwartet uns erneut eine Baustelle, viel Staub von Lastwagen und starker Gegenwind. Die eigentlich nur 70 km mit wenig Höhenmetern stellen sich als äusserst harte Tagesetappe heraus und wir kommen nur noch erschöpft in Kochkor an. Unterwegs treffen wir auf Tobi aus Deutschland, den wir bereits in Tbilisi kennenlernten und schon beim Skazka Canyon gesehen haben. Für ihn und für uns heisst es in Kochkor Proviant aufstocken für die nächste harte Etappe, hoch zum Bergsee Song-Kul, doch darüber mehr im nächsten Reisebericht aus dem schönen Kirgistan.

Baustellen überall im Land
Baustellen überall im Land
Wir kämpfen mit Staub und Gegenwind auf dem Weg nach Kochkor
Wir kämpfen mit Staub und Gegenwind auf dem Weg nach Kochkor
Die Aussicht lässt uns jedoch die Anstrengung schnell vergessen
Die Aussicht lässt uns jedoch die Anstrengung schnell vergessen

4 Antworten zu “Schlechte Strassen, Badeurlaub und ein schönes Wiedersehen in Kirgistan (50)”

  1. Liebe Lisa & lieber Dario
    Dank euren tollen Berichten und Bildern von Zentralasien fühlen wir uns ein wenig, als wären wir selbst durch diese Landschaften geradelt. Traumhaft schön und tut unserer Fernweh-Seele gerade richtig gut!
    Alles Liebe für euer nächstes Ziel Indien, wir sind gespannt auf eure Erlebnisse.
    Nicole & Beni

  2. Liebe Nicole & Beni

    Wie schön wäre es gewesen, mit euch durch Zentralasien zu fahren, es hätte euch so sehr gefallen! Wir drücken fest die Daumen, dass es für euch bald weitergeht und es nicht nur beim Fernweh bleibt. Alles Liebe in die Schweiz.

  3. Oh wie nett, euer beide kurze Konversation hier zu lesen, der ich inhaltlich ausser Staunen und Dank für’s Teilen kaum etwas hinzufügen kann!
    Laßt es euch alle Vier gut gehen!
    Liebe Grüße aus Altmünster!

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