10.03.2021

Winterpause mit Sanddünen (19)

Türkei Teil 4: Unsere Auszeit in Patara an der lykischen Küste

Vielleicht haben einige von euch unseren Social Media-Post gesehen mit unserer türkischen Identitätskarte bzw. unserer Aufenthaltserlaubnis? Ja, wir dürfen jetzt offiziell bis im Dezember 21 in der Türkei bleiben und haben hier an der lykischen Küste in Patara unsere Adresse. Höchste Zeit also, um euch etwas über unsere drei vergangenen Monate hier an der lykischen Küste zu erzählen und warum wir überhaupt hier sind.

Unsere Aufenthaltsbewilligung ist da!
Unsere Aufenthaltsbewilligung ist da!

Also spulen wir nochmals zurück in den Dezember: Ein grosses Taxi brachte uns und die Fahrräder nach Patara und von hier aus besichtigten wir verschiedene Apartments für unsere Winterauszeit in Patara sowie in der Kleinstadt Kaş. Der Vorteil von Kaş wäre, dass man jederzeit einkaufen könnte und alles um die Ecke hätte. Doch wir haben beide bisher immer in Städten gewohnt und vorübergehend auf dem Land zu leben reizte uns und somit entschieden wir uns ziemlich spontan, eine längere Pause in Patara einzulegen und mieteten uns ein gemütliches 2-Zimmer-Apartment mit Balkon und gemeinsamer Dachterrasse, mitten in der Natur und mit Ausblick auf Hügel, Olivenbäume und das ca. 3 km entfernte Meer.

Warum machen wir überhaupt eine Winterpause?

Wir entschieden uns für eine Winterpause aus diversen Gründen; einerseits natürlich der Unfall kurz vor Fethiye, der uns sowieso zu einer Ruhephase zwang; andererseits das regnerische und kühle Winterwetter und dann natürlich die aktuellen Restriktionen mit Ausgehbeschränkungen und geschlossenen Restaurants / Cafés. Die Grenzen gen Osten blieben weiterhin geschlossen und es schien keinen Sinn zu machen, jetzt einfach weiterzureisen und dann dafür weiter östlich in den Schnee zu kommen. Zudem waren wir nach vier Monaten voller intensiver Eindrücke auch bereit für eine Auszeit und wann im Leben hat man schon Mal diese Möglichkeit, einfach an einem Ort zu sein, die Natur zu geniessen, zu lesen und das für mehrere Wochen?

Ihr habt noch nie von Patara gehört? Wir vorher auch nicht. Lisa hat den Ort irgendwann mal in einem Reiseführer entdeckt und gesagt, das könnte noch passen für eine Winterpause und so kamen wir hierher. Doch nicht nur uns gefällt der Ort, denn Patara war und ist etwas Besonderes, doch seht selbst:

  • Patara bietet eine wunderschöne Dünenlandschaft und ein gemütliches Dorf, weit weg vom Massentourismus.
  • Das antike Patara wurde seit dem 7. Jh. v. Chr. besiedelt und gehörte zu den führenden Städten des lykischen Bundes und war einer der wichtigsten Häfen. Schiffe, die in der Antike von Griechenland ostwärts segelten oder von Syrien westwärts, machten hier regelmässig Station.
  • Es gibt hier so viel Geschichte zu entdecken, überall befinden sich Überbleibsel der Lykier und der Römer, weit verteilt um ein paar Tümpel und versteckt zwischen den Olivenbäumen.
  • Patara ist der Geburtsort vom Bischof von Myra, der als St. Nikolaus / Santa Claus / Samichlaus / Väterchen Frost etc. in die Geschichte einging.
  • Ein römischer Leuchtturm von 60. n. Chr. wurde entdeckt und wird aktuell renoviert. Es soll der älteste erhaltene Leuchtturm der Welt sein.
  • Hier legt die Caretta Caretta, die unechte Karettschildkröte, jährlich während dem Sommerhalbjahr ihre Eier ab.

Ja und dank der Schildkröten und der antiken Stadt herrscht am hellen Sandstrand ein Bauverbot und so wuchert hinter den Dünen teilweise undurchdringliches Dickicht und nur wenige Trampelpfade führen über die Dünen zum Strand, der regelmässig als einer der schönsten Europas gekürt wird. Doch der Sand ist begehrt und erst gerade wurde die Sandmafia beim illegalen Transport erwischt, sie machten Werbung mit neuen Häusern aus Patara-Sand und flogen so natürlich auf.

Dünenlandschaft hinter dem Sandstrand
Dünenlandschaft hinter dem Sandstrand

Gleich hinter dem Traumstrand befindet sich die antike Stätte (mehr zu den Lykiern gibt’s im nächsten Reisebericht zu lesen) mit Theater, alter Vorratskammer, Versammlungshalle (Bouleuterion) und einer Nekropole und ca. 3 km vom Meer entfernt liegt der eigentliche Ort Gelemiş, der oft auch als Patara bezeichnet wird. Hier befinden sich zahlreiche Familienpensionen und Restaurants, davon natürlich alles geschlossen während unserer Zeit hier. Zudem kleine Supermärkte mit einer limitierten Auswahl. Alles sehr verschlafen und ruhig.

Die Natur und der Strand waren definitiv das Highlight und wir können uns gar nicht vorstellen, dass es hier im Sommer so richtig voll sein soll. In der Zwischenzeit haben wir uns richtig an unser neues Zuhause gewöhnt und fühlen uns wohl hier.

Unser Alltag in der Winterpause

Die Umstellung vom täglichen Fahrradfahren und unserem nomadischen Leben zu einem Apartment mit Küche und Waschmaschine und allen Annehmlichkeiten kam ziemlich abrupt. Gestern waren wir noch unterwegs und heute schon, kaufen wir ein für einen längeren Aufenthalt und haben plötzlich ganz viel Zeit. Wie geht man damit um? Zuerst mal, waren wir einfach nur erschöpft von all den Eindrücken der letzten Monate und brauchten zuerst mal Zeit, um das Ganze zu verarbeiten. Denn so eine Fahrradreise ist anstrengender als gedacht und auch wenn man auf dem Sattel immer viel Zeit zum Nachdenken hat, so kann man das Erlebte doch nie wirklich ganz fassen.

Hierbei half uns die ganze Nachbearbeitung, in dem wir unsere Reiseberichte schrieben und natürlich auch angefangen haben, unser Filmmaterial durchzusehen und uns das Video schneiden beizubringen. Beide hatten wir bisher keine Erfahrungen damit und es machte viel Freude, zusammen etwas Neues zu lernen. Und wir haben definitiv noch viel zu lernen und hoffen, dass wir zukünftig in den richtigen Momenten ans Filmen denken. Klingt einfacher, als es ist. Andere Fahrradreisende schneiden ihre Videos jeweils noch am Abend im Zelt, mal schauen, ob wir das auch noch hinkriegen. Bisher waren wir nach einem Fahrradtag immer zu müde dafür.

Wir sind überrascht, wie lange alles braucht, von der Kartenerstellung, zum eigentlichen Videoschnitt, zum Anfragen der Bands, ob wir ihre Songs verwenden können etc. Alleine das Erstellen der Untertitel auf Englisch braucht locker einen halben Tag. Wir haben dann angefangen, unsere Aufgaben aufzuteilen, Dario macht die hauptsächliche Videobearbeitung während Lisa in der Zwischenzeit die ganzen Reiseberichte auf Englisch übersetzte. Zudem liessen wir uns noch ein paar Ersatzteile für die Fahrräder an unsere neue Adresse bestellen und machten ein paar Wartungsarbeiten. So verging die Zeit plötzlich unwahrscheinlich schnell und wir können kaum glauben, dass wir bereits seit über drei Monaten hier sind.

Wo ist hier bitte der nächste Supermarkt?

Da wir komplett auf dem Land leben, bedeutet einkaufen jeweils ein Halbtages- bis Tagesausflug, da der nächste grössere Ort mit einem brauchbaren Supermarkt 10 km entfernt liegt. Unter der Woche finden in den Dörfern in der Umgebung Märkte statt mit einem guten Angebot an Früchten, Gemüse, Nüssen, Käse und Joghurt und wir haben bereits unsere Lieblingsstände und kennen einige der Marktbetreiber.

Wir haben Glück mit unserer Umgebung, denn hier wächst alles Mögliche und daher haben wir eine grosse Auswahl an lokalen Produkten. In der Umgebung gibt es viele Gewächshäuser und unser Nachbar handelt mit Tomaten und bringt uns regelmässig frische Tomaten vorbei. Oftmals wissen wir gar nicht, wohin mit den vielen Tomaten. Dann erhält er halt von uns wieder seine Tomaten zurück in Form von Sugo oder Pizza. Wir verbinden unsere Marktbesuche gerne mit einem Snack, am liebsten mit einem veganen Çiğ Köfte. Diese rohen Köfte bestehen aus Bulgur, Frühlingszwiebeln, Tomaten, Baumnüssen, Olivenöl, Gewürzen und frischer Petersilie und werden zusammen mit einem Salatblatt und etwas Granatapfelsirup in ein Yufka-Blatt (sehr dünnes türkisches Fladenbrot) gewickelt und gleich verzehrt. Absolut lecker!

In Patara selber ist vieles geschlossen ausserhalb der Saison, aber fast immer geöffnet hat Ayşe und wir können bei ihr Orangen, Baumnüsse, Olivenöl und vor allem sehr leckere Gözleme beziehen und wir besuchen sie regelmässig.

Natürlich vermissen aber auch wir das kulturelle Leben und den Austausch mit anderen in dieser Zeit des Stillstands. Oftmals sehen wir mehrere Tage nur einander und sobald wir dann mal andere Reisende treffen oder uns länger mit den Einheimischen unterhalten, freuen wir uns sehr darüber. Lisa probiert täglich etwas Türkisch zu lernen, aber ohne Sprachkurs braucht das richtig viel Selbstdisziplin. Trotzdem klappt die Verständigung eigentlich ganz gut bisher. Die Begegnungen sind oftmals sehr schön. Einmal hat uns ein Einheimischer spontan Orangen geschenkt und uns zu sich nach Demre eingeladen, falls wir dort vorbeikommen.

Letzthin trafen wir einen anderen Radreisenden, der bereits seit 1986 unterwegs ist und nun auch etwas durch die Türkei fährt, bis sich die Grenzen öffnen. Und so wie wir «stecken» auch noch andere Fahrradreisende fest, an ganz unterschiedlichen Orten. Alle warten darauf, dass sich die Grenzen öffnen und es weitergehen kann. Einige steuern gerade Mexiko und Zentralamerika an, da dort das Reisen möglich ist. Aber momentan ist das für uns keine Option, so schnell in eine andere Kulturwelt einzutauchen und wir möchten zuerst noch mehr von der Türkei sehen.

Ist das Warten auch eine Chance?

Wir geniessen diese Auszeit sehr und es ist für uns kein «Abwarten», sondern wir schätzen jede Minute. Wartezeit wird ja oftmals als eine verlorene Zeit wahrgenommen, da wir gewohnt sind ständig zu erleben und zu erledigen und am besten sofort, doch wenn man auf nichts mehr warten muss, geht doch irgendwie auch die Wertschätzung verloren? Plötzlich so viel Zeit zu haben - das hat seinen Reiz und haben wir beide die letzten Jahre oft vermisst. Wir sind in diesen letzten Wochen definitiv geduldiger geworden und haben gelernt, damit umzugehen, dass wir keine Kontrolle über die aktuelle Situation haben. Das zeigt sich nur schon, wenn wir hier auf den Bus warten, denn Patara hat keine bediente Bushaltestelle. Den Bus zu nehmen, bedeutet 3 km zu laufen oder Fahrrad zu fahren und dann an den Strassenrand zu stehen und zu warten, bis irgendwann ein Bus kommt. Und er kam immer bisher, früher oder später.

Irgendwann und irgendwie geht's immer weiter
Irgendwann und irgendwie geht's immer weiter

So wie viele nutzen auch wir die Zeit, unsere nähere Umgebung zu entdecken und uns Zeit für die kleinen Dinge zu nehmen. Es ist bereits richtig Frühling hier und überall blüht und summt es und plötzlich konnten wir nicht mehr weiter vor dem Laptop sitzen, sondern hatten das dringende Bedürfnis, mehr in der Natur zu sein. Wir packten also unseren Tagesrucksack und machen uns auf und erkundeten während einer Woche den Lykischen Wanderweg. Was wir da erlebt haben erfährt ihr im nächsten Reisebericht (20).


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