06.10.2021

Durch den Westen Georgiens: Stalinkult, schwebende Särge, Wehrtürme und einsame Bergdörfer (28)

Zweiwöchige Familienreise durch Georgien Teil 2

Es gibt eine sehr bekannte Legende über Georgien, die wohl in jedem Reiseführer im ersten Kapitel vorkommt und in jeder Dokumentation in den ersten Minuten erzählt wird und daher können alle, die sich schon Mal mit Georgien befasst haben, getrost ein paar Zeilen überspringen. Für alle anderen folgt nun kurz zusammengefasst die – ausserbiblische – Legende:

Gott war gerade mit der Verteilung der Erde in einzelne Länder beschäftigt, doch die Georgier fehlten. Die ziemlich verkaterten Urgeorgier kamen nach einem vorausgegangenen Gelage, einer ausgiebigen Supra, zu spät und alles war bereits vergeben. Schlau wie sie waren, erzählten die Georgier Gott, dass sie das Gelage nur zu seinen Ehren abgehalten und auf ihn gesungen und angestossen hätten und so lässt sich Gott erweichen und schenkt ihnen das schönste von ihm geschaffene Fleckchen Erde, das er ursprünglich als seine Altersresidenz zurückgehalten hatte.

Eine schöne und irgendwie auch passende Geschichte, denn auch wenn Georgien nur gerade so gross wie Bayern ist, so ist das Land unglaublich reizvoll und überrascht uns immer wieder mit seiner Vielseitigkeit. Ja und mit dieser kurzen Einleitung nehmen wir euch nun mit auf den zweiten Teil unserer Georgien-Reise mit Lisas Eltern. Von der alten Hauptstadt Mtskheta geht es für uns in den Westen nach Imeretien und in die Bergregion Swanetien.

Zeitreise in Gori

Nach nur 45 Fahrminuten erreichen wir die 45'000 Einwohner zählende Kleinstadt Gori, bekannt als Geburtsort von Josef Wissarionowitsch Dschugaschwili aka Stalin. Als eine der bekanntesten georgischen Persönlichkeiten, wird der Diktator auch heute noch von einigen Menschen hier verehrt, die von der Zeit unter Stalin schwärmen, als es Gori wirtschaftlich besser ging. Diese Verehrung ist auch im palastähnlichen Stalin-Museum zu spüren, in dem der Kult der totalitären Sowjetunion unter ihrem eisernen Führer seit 1957 unverändert und unkritisch vermittelt wird. Das Personal soll so verstaubt sein wie die Ausstellung und jüngere Menschen, die kritischer eingestellt sind, erhalten im Museum keine Anstellung. Dies jedenfalls erzählt uns unsere Reiseleitung und wir beschliessen das Museum nicht zu besuchen. Erstaunlich auch, dass kein neues Konzept für eine Modernisierung des Museums in Aussicht steht und von einer Aufarbeitung hier nichts zu spüren ist. Neben dem Museum findet sich das angebliche Geburtshaus von Stalin, eine grosse Statue und ein Wagon der Stalin-Bahn, mit welcher der Diktator durch das Land gereist ist. Uns kommt das alles wie eine leicht unangenehme Zeitreise vor, besonders als wir dann im Stadtzentrum auch noch einen Souvenirstand mit Ansteckern von Stalin sehen.

Wagon der Stalin-Bahn
Wagon der Stalin-Bahn

Tschiatura – die Stadt der schwebenden Särge

So skurril wie dieser Tag begonnen hat, geht es für uns heute gleich weiter und zwar mit dem Besuch der imeretischen Bergbaustadt Tschiatura (ca. 12'000 Einwohner). Die Stadt war ein sowjetisches Arbeiterparadies unter Stalin und eine der wichtigsten Standorte für die Manganproduktion weltweit. Und weil Tschiatura umgeben von hohen Bergen in einer Schlucht liegt wurde hier ein einzigartiges öffentliches Verkehrsnetz aus 26 Personenseilbahnen erschaffen, die optimale Lösung, um die Arbeiter zu transportieren.

Die riesigen Vorkommen an Mangan-Erz in und um Tschiatura waren zwar schon lange bekannt und wurden seit dem Ende des 19. Jahrhunderts auch abgebaut, doch erst die Sowjets professionalisierten die Förderung in den 1950er-Jahren und bauten die Infrastruktur massiv aus und die meisten Seilbahnen stammen aus dieser Zeit. Auch bekannt als die «Stadt der schwebenden Metallsärge» oder netter ausgedruckt als «Venedig der Lüfte» transportierten die Seilbahnen während den Boom-Zeiten die Arbeiter vom Tal zu den Minen und die Einwohner von den damals modernen Plattenbau-Bergsiedlungen ins Stadtzentrum. Insgesamt spannten sich Metallkabel von über 70 Material- und Personenbahnen über den Himmel der Stadt. Eine Fahrt mit einer dieser rostigen Seilbahnen sorgt sicher für Nervenkitzel, doch im Sommer 21 stehen alle still, denn ab Herbst sollen neue moderne klimatisierte Gondeln die alten «Särge» ersetzen. Dies wird ein grosser Vorteil für die Stadtbewohner sein, denn Pendler und Schulkinder sind auf die Seilbahnen angewiesen und in Zukunft wird eine Fahrt damit einiges komfortabler und sicherer werden.

Eine der alten Gondeln in Tschiatura
Eine der alten Gondeln in Tschiatura
Zeitreise in Tschiatura
Zeitreise in Tschiatura

Auch wenn uns der Besuch von Tschiatura nachhaltig beeindruckt, hinterlässt er auch einen bitteren Beigeschmack. In den alten Fabriken wird immer noch gearbeitet und trotz ihrem gefährlichen Beruf verdienen die Bergarbeiter nur knapp CHF 300.- monatlich. Wir sehen viele halb zerfallene Häuser, in denen weiterhin gewohnt wird und der Fluss Kwirila ist dunkel gefärbt von all den giftigen Ablagerungen. Es ist keine Überraschung, dass die Einwohner aufgrund der Luftverschmutzung über gesundheitliche Probleme klagen und wir hoffen sehr, dass sich in dieser vergessenen Stadt in der Zukunft etwas zum Positiven ändert und es für die Einwohner mehr Lebensqualität gibt.

Ich und mein Felsen

Tschiatura liegt in einer Gegend reich an Kalksteinhöhlen und anderen Felsformationen und auf einem dieser eindrücklichen Felsen hat sich ein Mönch niedergelassen. Der 40 Meter hohe markante Kathski-Felsen überragt die Landschaft und birgt das vielleicht kleinste Kloster des Landes. 1993 entschied sich ein Bewohner aus Tschiatura sein lasterhaftes Leben zu ändern und von nun an auf dem Felsen als Mönch zu leben. Über einen Seilzug erhält der Einsiedler Wasser und Essen von seinen Anhängern und nur eine haarsträubende Leiter führt auf den Felsen hoch. Doch heraufkraxeln bringt nichts, denn der Mönch empfängt keine Besucher. Sogar einem deutschen Fernsehteam, das ihm eine Dokumentation widmen wollte, wurde der Zugang verwehrt. Ob es in dem kleinen Kloster wohl auch einen Weinkeller hat?

Hier oben thront das vielleicht kleinste Kloster Georgiens
Hier oben thront das vielleicht kleinste Kloster Georgiens
Zutritt verboten
Zutritt verboten

Entspanntes Kutaissi, eindrucksvolle Canyons und ehemalige Sanatorien

Als nächstes besuchen wir die drittgrösste Stadt Georgiens Kutaissi (ca. 150'000 Einwohner), die zugleich auch das Zentrum der Region Imeretien ist. Die Stadt wirkt sehr entspannt und gemütlich und gar nicht wie eine hektische Grossstadt. Dabei könnte man glatt vergessen, dass Kutaissi zu den ältesten Städten Europas gehört und zur Zeit der Legende des Goldenen Vlieses (8 Jahrhundert v.Chr.) auch die Hauptstadt des sagenumwobenen vorchristlichen Königreiches Kolchis war. Daran erinnert auch der Kolchische Brunnen im Stadtzentrum. Bei den goldenen Skulpturen des Brunnens handelt es sich um Vergrösserungen von Miniaturen und Schmuckstücken aus jener Zeit.

Der kolchische Brunnen im Stadtzentrum von Kutaissi
Der kolchische Brunnen im Stadtzentrum von Kutaissi

Besonders sehenswert ist der schöne und grosse Bauernmarkt mit einer vielfältigen Auswahl an Gewürzen, Nüssen, Churchkhela, Gemüse, Früchten und Käse. Und weil dieser Markt zum Grosseinkauf verführt gibt es hier auch die Möglichkeit, sich einen «Personal Shopper» zu gönnen. Dieser läuft dann mit einem Wagen mit und packt die Einkäufe ein und transportiert sie zum Auto. Soviel benötigen wir zum Glück nicht, aber ein paar Churchkhelas für die swanetischen Berge müssen schon mit. Doch bevor es für uns in die Berge geht, erkunden wir zuerst noch die Umgebung der Stadt, denn Kutaissi ist ein idealer Ausgangspunkt für so einige kulturellen und landschaftlichen Schätze.

Mehlabteilung im Markt von Kutaissi
Mehlabteilung im Markt von Kutaissi

Wir verbringen zwei Nächte in einer Unterkunft, die während der Pandemie leider kein Frühstück anbietet. Da sich die Besitzerin aber als gastfreundliche Italienerin herausstellt, erhalten wir wenigstens einen richtigen Kaffee, um in den Tag zu starten. Gar nicht so selbstverständlich, sind in Georgien doch Kaffeemaschinen eher eine Rarität und Jacobs Kaffeemischungen aus der Tüte sehr weit verbreitet. Kein Frühstück in einer Unterkunft zu erhalten stellt ja an sich kein Problem dar, ausser man ist auf einer geführten Rundreise mit Programm und in einem Land wie Georgien, in dem doch alles sehr spät beginnt. Hier werben Lokale extra mit einem Frühstücksangebot und öffnen dann doch erst um 11.00 Uhr (?). Das ist nur ein kleines Beispiel der zahlreichen kulturellen Eigenheiten, denen wir auf dieser Reise immer wieder begegnen und die uns schmunzeln lassen. Für Langschläfer ist Georgien jedoch ideal und auch während so einer geführten Rundreise kommt man zu genügend Schlaf, denn vor 09.00 Uhr passiert gar nichts. Zum Glück ist unsere Reiseleiterin Nini gut im Improvisieren und findet dann doch noch ein Lokal, in dem es etwas Kleines zum Mitnehmen gibt und das schon vor zehn Uhr morgens.

Frisch gestärkt geht es für uns nun mal wieder in ein weiteres Kloster. Diesmal ist es das Kloster Gelati, das nichts mit italienischem Gelati zu tun hat, sondern eine wegweisende Lehranstalt und eine der wichtigsten Akademien des Landes war. Das königliche Hofkloster und UNESCO-Weltkulturerbe liegt idyllisch zwischen grünen Wäldern. Früh am Morgen sind noch nicht viele Besucher unterwegs und wir können die schöne Mischung aus draussen prächtig und innen andächtig fast für uns alleine geniessen. In dem künstlerischen Zentrum wurde früher nicht nur philosophiert, sondern auch Wein getrunken und dafür musste man nicht mal weit gehen, denn in der Mitte des Lehrraumes gab es tatsächlich ein Qvevri (Tongefäss für den Wein im Boden). Der äusserst eifrige georgische König, Davit der Erbauer (siehe das georgische «who is who» im Blog 27), gründete das Kloster und er ist wie so oft auf einer Freske mit einem Modell der Kathedrale in der Hand abgebildet.

Das Gelati-Kloster: Aussen prächtig
Das Gelati-Kloster: Aussen prächtig
und innen andächtig
und innen andächtig
"Davit der Erbauer" findet sich ganz rechts
"Davit der Erbauer" findet sich ganz rechts

Die Umgebung von Kutaissi ist äusserst vielseitig und wir merken bald, dass man hier wohl noch einige Zeit länger bleiben könnte. Für uns ist es ungewohnt plötzlich nur zwei Tage an einem Ort zu sein, ohne die Möglichkeit spontan zu verlängern und es ist für uns eine Umstellung, sich an ein festes Programm zu halten und die Landschaft hinter der Fensterscheibe vorbeiziehen zu lassen, statt mit dem Fahrrad mittendrin zu sein. Dafür sehen wir in kurzer Zeit unglaublich viel und können von dem enormen Hintergrundwissen unserer Reiseleiterin profitieren und uns dabei gemütlich von Ort zu Ort fahren lassen. Und unser Fahrer Davit macht das richtig gut und fährt sehr vorsichtig, was an sich schon eine Sensation ist, wenn man sonst so den georgischen Verkehr anschaut. Wir erfahren von Nini, was es in Georgien braucht, um die Fahrprüfung zu bestehen und dazu gehört zwar ein Theorietest, jedoch kein Praxistest oder kein richtiger. Auf einem Platz fährt man einen genormten Parcours ab, und berührt man dabei keine Linie oder Stange, so erhält man seinen Ausweis und wird dann direkt alleine auf den richtigen Verkehr losgelassen. Das erklärt so einiges.

Wir lassen uns von Davit zu den Canyons im Hinterland von Kutaissi bringen. Im Martvili Canyon unternehmen wir eine kurze Bootsfahrt auf dem türkisfarbenen Wasser und im Okatse-Canyon gehen wir einen 780 m langen freischwebenden Panoramasteg entlang mit grandiosen Ausblicken. Leider beginnt es zu Beginn dieses schwindelerregenden Weges zu regnen und winden, alles wird rutschig, wir werden nass und Lisa hat Höhenangst. Wegen dem schlechten Wetter können wir die tolle Aussicht gar nicht so recht geniessen, dafür dann umso mehr den Spaziergang durch den Wald. Es ist schön, immer wieder mitten in der Natur zu sein und dadurch etwas Abwechslung vom Autofahren zu haben.

Leider regnet es auch bei unserem Besuch im ehemals florierenden Kurort Tskaltubo, in dem sich die Ruinen zahlreicher Sanatorien befinden. In den 1970er Jahren umfasste das Kurangebot der Sowjetrepubliken rund 6000 Sanatorien und im mondänen Kurort liess es sich die kommunistische Oberschicht in grüner Idylle gutgehen und kurierte ihre Gelenkleiden. Man flanierte durch den prächtigen Park, amüsierte sich in den Kinos und dem Theater und auch Stalin verbrachte hier seinen Kururlaub. Eine Bahnstrecke verband sogar Tskaltubo direkt mit Moskau.

Seit dem Ende der Sowjetunion blieben die Kurgäste aus und die Gebäude verfielen. Mit dem Abchasien-Konflikt 1993 zogen Flüchtlinge in die ehemaligen Sanatorien und es ist bis heute noch nicht gelungen, alle Flüchtlingsfamilien in alternativen Wohnraum umzusiedeln, weil die neuen Wohnflächen im Rohbauzustand übergeben wurden und die Betroffenen gar nicht in der Lage sind, Geld für die Ausstattung aufzubringen. In der Zwischenzeit haben auch Touristen Tskaltubo entdeckt und ein Kurhotel hat sogar wieder seine Tore geöffnet und zieht Gäste aus Russland und der Ukraine an. Wir waren nur ganz kurz vor Ort und das Wetter lud nicht zu einer längeren Erkundung ein, aber auf den folgenden Seiten finden sich interessante Fotografien (https://www.ryankoopmans.com/thewildwithin / https://jeroentaal.photography/tag/tskaltubo).

Ehemaliges Hotel in Tskaltubo
Ehemaliges Hotel in Tskaltubo

Einsame Bergdörfer, Wehrtürme und eine grandiose Bergkulisse

Nun ist es endlich soweit und wir bereisen eines der Highlights des Landes, die Bergregion Swanetien, das Land der tausend Türme. Schon von Anfang an war klar, dass wir Swanetien unbedingt während unserem Georgien-Aufenthalt besuchen möchten, denn die Bilder vom abgelegenen Ushguli haben uns schon lange vor dieser Reise fasziniert und nun sollte uns eine lange Fahrt tatsächlich dorthin führen, in diese abgelegene Region, die bis zur Ankunft der Russen niemals von Fremden beherrscht worden war. Lange war die Region von der Aussenwelt isoliert und die kämpferischen Swanen setzten sich gegen feindliche Bergstämme erfolgreich zur Wehr. Die zahlreichen Wehrtürme erinnern an diese konfliktreiche Zeit. Ein langer Fahrtag bringt uns auf der gut ausgebauten Strasse via Zugdidi nach Mestia, dem touristischen Hauptort Swanetiens. Wir sind etwas überwältigt ab der ganzen Infrastruktur und hätten uns diesen Ort niemals so gross vorgestellt. Im Trekkingmekka gibt es neben zahlreichen Restaurants sogar einen Flughafen und unterdessen ist Mestia ganzjährig mit dem Rest des Landes verbunden und ein entsprechend beliebtes Ausflugsziel. Auch wenn wir uns auch hier im Grossen Kaukasus befinden, so ist das Klima in Mestia viel feuchter als in Stepantsminda beim Kasbek und uns erwarten 30° bei unserer Ankunft in den Bergen.

Überall finden sich die markanten Steintürme, die so typisch sind für Swanetien
Überall finden sich die markanten Steintürme, die so typisch sind für Swanetien

Wir unternehmen einen Spaziergang durch Mestia und besuchen ein Machubi, ein traditionelles Haus. Die Swanen haben ihre eigene Sprache und Traditionen und lebten in Familienverbänden in festungsartigen Häusern. Der Mittelpunkt des dunklen Wohnraumes bildete das Feuer, auf dem gekocht und über dem der Käse und der Schinken geräuchert wurde. Alle Familienmitglieder hatten eine feste Sitzordnung und das Familienoberhaupt nahm auf einem kunstvoll verzierten Holzthron Platz. Auch die Tiere lebten zusammen mit den Menschen und guckten wie aus Theaterlogen von den Seiten des Raumes hervor. Über den Tieren befand sich ein Stockwerk, das als gemeinsamer Schlafraum genutzt wurde. Für Frischvermählte gab es jedoch noch ein separates Zimmer für etwas mehr Privatsphäre. Natürlich besass jede Sippe einen eigenen Wehrturm, in dem man sich wegen des Brauchs der Blutrache vor den Nachbarn verschanzen musste. Wir klettern auf einen dieser 43 Türme in Mestia hoch, über steile Leitern geht es nach oben zu den Schiessscharten. Es ist gar nicht so lange her, dass man noch so gelebt hatte und gemäss Nini hängt die Tradition der Blutrache noch nach und gewisse Familien wechseln die Strassenseite wenn sie eine andere sehen. Irgendwie gar nicht vorstellbar an so einem touristischen Ort.

Einblick in ein typisches Machubi
Einblick in ein typisches Machubi

Am Abend tauchen wir noch mehr in swanische Traditionen ein, als wir den Film Dede (2017) sehen (hier geht’s zum Trailer), den ersten swanischen Film, der auch an zahlreichen internationalen Filmfestivals gezeigt wurde. Der Film wurde mit Laienschauspielern aus Ushguli gedreht und wird jeden Abend in einem Pub gezeigt und diesmal sogar in Anwesenheit der Regisseurin. Es ist ein besonderer Abend für uns, als wir dort im Pub Kaffee trinken, Kuchen essen und danach auf gemütlichen Liegen den Film schauen.

Der Film "Dede" gibt einen tollen Einblick in das Leben in Swanetien
Der Film "Dede" gibt einen tollen Einblick in das Leben in Swanetien

Natürlich sind wir nach dem Film noch neugieriger auf Ushguli, das auf 2200 m.ü.M. liegt und nur eine zwei-stündige holprige Fahrt von Mestia entfernt liegt. Es ist wohl das bekannteste Bergdorf Swanetiens und war einst das höchst gelegene europäische Dorf, das ganzjährig bewohnt war. Aber eben nur einst, denn in der Zwischenzeit gehört dieser «Titel» dem Dorf Bochorna (2345 m.ü.M.) in Tuschetien, da dort ein alter Mann beschlossen hat, nun den Winter in den Bergen zu verbringen und somit Ushguli den Rang abgelaufen hat. Ob ihm das bewusst ist?

Ushguli - willkommen in einer anderen Welt
Ushguli - willkommen in einer anderen Welt
Kinder lernen schon sehr früh reiten
Kinder lernen schon sehr früh reiten

Das märchenhafte Bergdorf Ushguli ist absolut zauberhaft mit seinen Wehrtürmen aus dem 10. Jahrhundert, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehören. Im Dorf mit seinen 200 Einwohnern ist man sichtbar stolz auf die Bekanntheit durch den Film Dede, der auch hier täglich gezeigt wird. Überall hängen Plakate, wir sehen einige Schauspieler und ein Guesthouse macht Werbung damit, dass einer der Protagonisten dort lebt.

Die Einwohner Ushgulis leben von der Landwirtschaft und mehr und mehr auch vom Tourismus. Familien haben ihre Häuser in einfache Unterkünfte umgewandelt, bieten den Gästen Zimmer an und kochen für sie. Vor Ort hat es auch eine Schule bis in die 12. Klasse und einen Kindergarten. Ein Spital gibt es nicht mehr, dafür aber einen Doktor im Dorf. Abends laufen die Kühe durch die Strasse und bereits kleine Kinder können reiten. Wir fühlen uns in eine andere Zeit versetzt.

Wie auch von Mestia aus können in Ushguli verschiedene Wanderungen unternommen werden, besonders schön soll der mehrtägige Trek von Mestia bis nach Ushguli sein. Ein Grund mehr nochmals nach Georgien zurückzukehren. Wir unternehmen eine einfache Wanderung zum Schchara-Gletscher, die durch eine eindrückliche Vegetation führt. Riesige Blumen, Farne, Bärenklau und Birken befinden sich links und rechts vom Weg und im Hintergrund erspäht man immer wieder den Berg Schchara (5201 m), den höchsten Berg Georgiens und den dritthöchsten Gipfel des Grossen Kaukasus. Nach dem Wald führt der Weg über ein Geröllfeld bis man dann wirklich vor der Gletscherzunge steht. Einzelne Steine fallen herunter und die Gewalt der Natur ist sichtlich spürbar.

Auf dem Rückweg machen wir spontan einen Abstecher ins Ethnografische Museum, das eigentlich gerade schliesst. Aber wir können noch ganz kurz einen Blick auf den Stab des Matschwi erhaschen, des Dorfvermittlers. Früher wandten sich die Familien bei Streitigkeiten an ihn und er hatte einen besonderen Stab, in den er jedes Mal eine Kerbe schnitzte, sobald ein Streit gelöst wurde. Viele unternehmen ab Mestia einen Tagesausflug nach Ushguli, was zwar gut möglich ist, aber die richtige Magie des Ortes spürt man erst, wenn man ein paar Nächte hier verbringen kann. Am Abend kehrt schnell Ruhe im Dorf ein, abgesehen von ein paar Kühen, die noch auf dem Nachhauseweg sind. Für uns bleibt der Besuch von Ushguli einer der Höhepunkte unserer Zeit in Georgien.

Abendstimmung in Ushguli
Abendstimmung in Ushguli

Rosinenbrote, eine Höhlenstadt und viel Wein

Völlig beeindruckt von dieser faszinierenden Bergwelt verlassen wir Swanetien, diesmal über eine Schotterstrasse über den Zagari-Pass nach Niederswanetien. Bald soll diese Strasse asphaltiert und etwas weniger abenteuerlich sein und dann werden wohl noch mehr Menschen den Weg nach Ushguli finden. An dieser Stelle wären wir mal wieder gerne mit dem Fahrrad unterwegs, denn die Landschaft ist fantastisch. Über Kutaissi geht es für uns wieder zurück in den Osten Georgiens in Richtung Tbilisi. Auf der Strasse vor Gori werden in einem Dorf Hängematten verkauft und im nächsten Dorf hat man sich auf die Herstellung süsser Rosinenbrote, Nazuki, spezialisiert. Überall finden sich kleine Häuschen mit einem traditionellen Ofen drin und wir probieren von dem leckeren Brot. Es ist uns immer wieder ein Rätsel, wie ein ganzes Dorf beschliessen kann die gleiche Spezialität anzubieten und wirklich jeder das genau gleiche Produkt verkauft.

Ein Stand nach dem anderen bietet die leckeren Rosinenbrote an
Ein Stand nach dem anderen bietet die leckeren Rosinenbrote an

Wie oft sich Georgier und ihre Könige vor Feinden in schwer zugänglichen Bergfestungen und Höhlensystemen verschanzt haben, hat wohl keiner gezählt, doch sie haben so einiges hinterlassen und so ist unser letztes kulturelles Highlight auf dieser Rundreise die Höhlenstadt Uplistsikhe. Bereits zwischen dem 6. und 4.Jh.v.Chr. wurde die Festung in Sandstein geschlagen und war früher eine wichtige Handelsmetropole entlang der Seidenstrasse. Bis zu 50'000 Menschen sollen hier gelebt haben und es war ein politisches und kulturelles Zentrum zu dem eine Handelszone mit Markt, ein Wohnviertel und ein Palastbezirk mit Tempeln gehörte. Besonders eindrücklich ist der Geheimtunnel, der vom Flussufer in die Anlage hinaufführt. Einige der Räume sind reich verziert mit Imitationen von Holzbalken die in den rohen Felsen geschlagen wurden, doch der durchschnittliche Stadtbewohner musste sich mit einem zentralen Raum für die Feuerstelle, einem Schlafraum und einigen Wandnischen für Vorräte zufriedengeben. Die Dutzenden von Höhlen, die sich den Hang hochziehen, werden malerisch von einer byzantinisch-georgischen Kirche gekrönt.

Geheimtunnel nach Uplistsikhe
Geheimtunnel nach Uplistsikhe
Wer erspäht die fünfte Nase im Bild?
Wer erspäht die fünfte Nase im Bild?

Natürlich durften auch eine Apotheke, mehrere Tone-Öfen fürs Brot backen und ein Weinkeller nicht fehlen. Und damit sind wir bei der idealen Überleitung zu unserem letzten Abend, denn wir natürlich stilgerecht auf einem Weingut verbringen.

Von Gori aus biegen wir ins landschaftlich reizvolle Ateni-Tal ab und fahren und fahren, bis das Tal immer enger und schöner wird und dann erreichen wir das einladende Weingut und Gästehaus vom ehemaligen georgischen Kulturminister Nika Vacheishvili. Mitten in den Weinreben hat er hier mit seiner Familie einen wunderbaren Ort geschaffen. Wir geniessen ein leckeres letztes gemeinsames Essen mit unserer Reiseleiterin Nini, dem Fahrer Davit sowie auch Fabio von der Reiseagentur MyCaucasus. Ein richtig schöner Abschluss unserer geführten Rundreise.

Von Nika aus ist es nur noch eine gute Stunde, bis uns die Hitze von Tbilisi wiederhat. Diesmal wohnen wir im schönen Altstadtviertel Sololaki wieder in zwei Apartments nebeneinander mit Garten. Wir verabschieden uns von Nini und Davit, die uns in den letzten zwei Wochen durch ihr wunderschönes und kontrastreiches Land geführt haben und geniessen die letzten gemeinsamen Tage mit Lisas Eltern in der Stadt. Wir freuen uns sehr, dass die beiden ebenfalls von Georgien begeistert sind und am liebsten noch etwas länger bleiben würden. Kein Wunder, denn das kleine Land mit seiner grossen Vielfalt und seinen herzlichen Menschen löst einfach etwas aus bei den Besuchern und auch wir werden bereits nostalgisch, wenn wir an unsere Abreise denken. Doch bis es soweit ist, erkunden wir noch den Osten des Landes mit unseren Fahrrädern und was wir dabei alles erlebt haben, erfährt ihr im nächsten Reisebericht.

Ein letzter Abend mit Nini, Fabio, Nika und Davit (v.l.n.r)
Ein letzter Abend mit Nini, Fabio, Nika und Davit (v.l.n.r)

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