23.04.2022

Salam Iran: Erste Eindrücke und viele Fragen (37)

Iran Teil 1: Ankunft im Iran am Persischen Golf

«Khoja hastin (where are you from)?»

«Aks, aks (photo)!»

«Your husband?»

«How do you like Iran?»

Die Fragen kommen gerade von allen Seiten während ich neben unseren vollbeladenen Fahrrädern am Fährhafen von Bandar Lengeh stehe und auf Dario warte, der versucht, unsere Mobiltelefone bei den Beamten zu registrieren mit Hilfe von netten Iranern. Draussen ist es bereits dunkel und der ganze Tag dauert schon viel zu lange, sind wir doch schon über 10 Stunden unterwegs, seit wir Dubai auf dem Seeweg verlassen haben. Zwei kleine Kinder schauen mich mit grossen Augen an, ich gebe ihnen unsere mitgebrachte Schweizer Schokolade, dann kommt die Grossmutter auf mich zu, schenkt mir eine Rose und die Töchter möchten ein Bild mit mir machen. Mir schwirrt der Kopf ab all den neuen Eindrücken, während ich irgendwie versuche das Kopftuch festzuhalten, damit es nicht wieder runterrutscht. Dario kommt erschöpft zurück, denn es hat mit der Registrierung nicht wirklich geklappt und auch er muss gleich mit aufs Familienbild und bevor wir einen ersten Schritt aus dem Fährterminal machen können, werden wir schon in das Dorf der Familie eingeladen. Doch wir haben eine Unterkunft reserviert für die erste Nacht im Iran. Schnell tauschen wir noch unseren Instagram-Kontakt aus und dann sitzen wir endlich auf unseren Fahrrädern und möchten eigentlich losfahren, doch ein Wagen hält neben uns und das nette Paar fragt uns, ob wir bereits eine Übernachtungsmöglichkeit haben.

Natürlich haben wir im Vorfeld von anderen Reisenden viel über die wohl schon fast legendäre Gastfreundschaft im Iran gehört, aber dass es gleich so unmittelbar nach der Landesgrenze damit losgeht, hätten wir so nicht erwartet und wir sind noch nicht bereit, sie anzunehmen, dafür brauchen wir Platz im Kopf und der ist einfach gerade nur noch voll mit neuen Eindrücken. Also wiederholen wir nochmals die Hotelgeschichte und rollen nun endlich los in die laue Nacht. Wir erreichen unser Hotel und auch wenn es bereits 22.00 Uhr ist, ist unser Zimmer noch nicht bezugsbereit und vor unserer Türe sitzt eine Gruppe junger Menschen aus Mashhad. Wir trinken einen Tee mit ihnen und versuchen irgendwie unsere Gedanken zu ordnen. Wir sind seit wenigen Stunden im Iran und bereits völlig überfordert und möchten uns nur noch zurückziehen, was gar nicht so einfach ist, denn das Bad liegt ausserhalb des Zimmers und die ganze Nacht ist etwas los draussen und wir können uns nicht wirklich erholen. Wir fragen uns, ob das nun immer so weiter geht im Iran.

Am nächsten Morgen gehen wir früh raus und machen die ersten zögerlichen Schritte durch die Gassen von Bandar Kong. Dieses erste Mal, in dem man sich in einem völlig fremden Ort wiederfindet und alles zum ersten Mal wahrnimmt, ist immer etwas Besonderes für uns. Wir sind uns völlig bewusst, dass uns bald alles vertraut sein wird, doch jetzt gerade geniessen wir diesen ersten Moment des Ankommens, den man kein zweites Mal so wiederholen kann. Die charmante Altstadt von Bandar Kong mit den zahlreichen Windtürmen liegt noch in einem touristischen Dornröschenschlaf und entsprechend werden wir von den Frauen mit ihren langen dunklen Tschadors zuerst etwas misstrauisch oder auch neugierig gemustert. Wir hätten so viele Fragen, wie man sich verhalten soll, was in Ordnung ist und was nicht und wir möchten nicht in ein Fettnäpfchen treten. Doch gleichzeitig sind wir uns bewusst, dass sich diese erste Nervosität legen wird und wir uns bald selbstbewusster in diesem neuen Land bewegen werden.

Erste Schritte in einem neuen Land
Erste Schritte in einem neuen Land
Bandar Kong
Bandar Kong
Überall Windtürme, die Vorgänger der Klimaanlage
Überall Windtürme, die Vorgänger der Klimaanlage

Es ist kompliziert….

Die ersten Erkundungen führen uns in die Hafenstadt Bandar Lengeh. Wir möchten Geld wechseln und uns eine SIM-Karte besorgen. Eigentlich zwei ganz einfache Dinge bisher in jedem Land unserer Reise. Durch die internationalen Sanktionen sind internationale Geldtransfers in den Iran leider immer noch unmöglich und so funktionieren keine ausländischen Kreditkarten im Iran und die Reisenden sind auf Bargeld in Euro und US-Dollar angewiesen, das vor Ort gewechselt wird, jedoch nie bei der Bank zum offiziellen Kurs sondern viel besser in den Wechselstuben. Eine Wechselstube gibt es in der Kleinstadt Bandar Lengeh zwar nicht, dafür aber zahlreiche Juweliergeschäfte, bei denen auch getauscht werden kann und somit steuern wir den erstbesten Goldladen an. Die Kommunikation klappt auch einigermassen und somit erhalten wir für unsere EUR 300.- ganze 87 Millionen Rials in Stückelungen von 100’000er Noten.

Eine Note entspricht gerade mal CHF 0.30
Eine Note entspricht gerade mal CHF 0.30

Ihr könnt euch vorstellen, dass wir dafür eine ganze separate Tasche benötigen. Das haben wir beim Packen natürlich nicht bedacht, dass wir bald Millionäre sind und entsprechendes Zusatzgepäck benötigen. Zum Glück gibt es dazu noch eine Alternative, eine iranische Debit Karte, auf die wir Euro überweisen können und mit der wir im Iran überall bezahlen können. Diese ist normalerweise nur in Teheran erhältlich, wird uns aber netterweise ins Hotel nach Bandar Abbas gesendet und somit sind wir nicht mehr lange auf Bargeld angewiesen. Auch die Ladenbesitzer sind wohl froh, wenn man mit der Karte zahlt, statt ihnen bündelweise Noten zu überreichen, die man vorher mühsam abgezählt hat, da ja eine 100'000er Note gerade mal CHF 0.30 entspricht.

Als wäre das noch nicht genug, löste 1925 der Rial die Währung Toman ab, doch überall wird immer noch von Toman gesprochen. Ein Toman entspricht zehn Rial. Wenn man etwas für 2.5 Millionen Rial kaufen möchte, so wird oftmals 250'000 Toman gesagt und da das immer noch zu viele Nullstellen sind, hört man dann meistens nur 250. Und dann muss man natürlich genau wissen, dass mit 250 Toman eigentlich eben die 2.5 Millionen Rials gemeint sind. Klar, sind wir in den ersten Tagen noch etwas verwirrt und viel am umrechnen und haben oftmals auch keine Ahnung, wie viel wir eigentlich ausgeben.

Mit unserem Plastiksack voller Geld geht es nun zum nächsten Programmpunkt, der SIM-Karte. Doch auch das stellt sich nicht gerade als einfach heraus. Die Mitarbeiter vom grössten Mobiltelefonanbieter Irancell sagen uns, dass wir mit dem Schweizer Pass keine SIM-Karte erwerben können. Somit gehen wir zu einem anderen Anbieter, auch dort sei es nicht möglich, doch der nette Mitarbeiter gibt uns einfach eine SIM-Karte auf seinen eigenen Namen, wenigstens mal für die ersten 30 Tage, danach müssen wir unsere Telefone sowieso registrieren, sonst werden sie blockiert. Nun haben wir Geld und Internet und jetzt muss nur noch der Hunger gestillt werden, doch es ist kein Restaurant in Sicht.

Wir fahren hungrig durch die Stadt und sehen dann irgendwann ein Schild für ein Fast-Food Restaurant, das geöffnet hat. Natürlich haben sie keine englische Speisekarte und wir bestellen irgendwie mit Händen und Füssen. Wir erhalten Kebab mit Reis, so etwas wie das inoffizielle Nationalgericht des Irans, für das wir uns aber nur mässig begeistern können. Wir sind wenigstens satt und sind überzeugt, dass wir dann an touristischeren Orten sicher tolle Restaurants mit englischer Speisekarte und vegetarischen Gerichten finden werden (tja, das dachten wir damals tatsächlich noch voller Optimismus).

Zögerliches Ankommen in einem neuen Land

Wieder zurück im Hotel möchten wir noch eine Nacht verlängern, denn wir sind zu erschöpft von all den ersten Eindrücken, um gleich weiterzufahren. Leider ist jedoch alles ausgebucht, denn im Februar ist die beliebteste Saison hier im Süden mit den angenehmsten Temperaturen und entsprechend sind viele Unterkünfte von iranischen Touristen belegt. Es ist bereits spät am Nachmittag als wir losfahren und wir können es kaum erwarten, unser Zelt aufzustellen und endlich etwas für uns zu sein. Das klappt auch ganz gut für eine Stunde. Dann kommt eine Familie vorbei, die uns zu sich einladen möchte, denn es sei einfach viel zu gefährlich für uns, hier draussen zu schlafen. Wir verstehen nicht so recht, woher die Gefahr kommt, da sie uns mit Händen und Füssen versuchen vor einem Tier zu warnen, das sich hier rumtreiben soll. Schnell wird noch der Sohn gerufen, der etwas Englisch spricht und es stellt sich heraus, dass sie uns vor den Moskitos hier warnen wollten. Wir sind hin und her gerissen, denn eigentlich sind sie total nett und wir möchten sie nicht enttäuschen, doch gleichzeitig sehnen wir uns danach, zuerst mal all die Eindrücke setzen zu lassen, bevor wir uns intensiv auf die Kultur einlassen können und wir haben das Gefühl, wir wären keine dankbaren Gäste heute Abend. Wir sagen ihnen also so freundlich wie möglich ab und haben dabei ein ziemlich schlechtes Gewissen. Wir sitzen noch lange vor unserem Zelt und sprechen über unsere ersten Impressionen aus dem Iran und wie lange es wohl dauert, bis wir in diesem neuen Land ankommen werden.

Auf der Suche nach einem Zeltplatz und etwas Privatsphäre
Auf der Suche nach einem Zeltplatz und etwas Privatsphäre
Tolle Landschaften entlang der Küste
Tolle Landschaften entlang der Küste
Endlich etwas Ruhe
Endlich etwas Ruhe
Hier sollen sich die gefährlichen Moskitos verstecken
Hier sollen sich die gefährlichen Moskitos verstecken

Wir schlafen gut und geniessen es am nächsten Tag unterwegs zu sein und die Gedanken beim Rad fahren wandern zu lassen und so die ersten Eindrücke zu verarbeiten. Wir fahren entlang von einer kargen weissen Felslandschaft und sehen immer wieder alte Wasserzisternen in der Landschaft. In den kleinen Dörfern hören wir die Rufe von Teppichverkäufern, die auf den staubigen Strassen ihre Waren anpreisen und kleine Läden versorgen die Dorfbewohner und uns mit dem Nötigsten. Im nächsten grösseren Ort Bandar Khamir versuchen wir Brot zu kaufen, das uns kurzerhand geschenkt wird. Wir möchten schon weiterfahren, als wir von einem jungen Paar, Sima und Alex, auf Englisch angesprochen werden. Sie möchten uns zu sich einladen und uns ihre Familie vorstellen. Wir gucken uns an und überlegen uns, ob wir nun endlich bereit sind in die Kultur einzutauchen und mehr über den Alltag der Menschen zu erfahren und es fühlt sich stimmig an. Wir sagen zu und so beginnt ein wundervoller Abend.

Einladung von Alex und Sima (links im Bild)
Einladung von Alex und Sima (links im Bild)

Grosszügige Gastfreundschaft in Bandar Khamir

Wir fahren zu ihrer Familie, die in einem grossen Haus mit Garten wohnt und dürfen unsere Räder und unser Gepäck abstellen. Es werden frische Früchte vom Baum gepflückt und wir sehen zum ersten Mal ein traditionelles iranisches Wohnzimmer, in dem der ganze Boden mit Teppichen ausgelegt ist und immer frischer Tee bereitsteht. Mehrere Generationen sind im Zimmer versammelt und immer wieder kommen neue Familienmitglieder oder Nachbarn vorbei. Wir haben schon lange den Überblick verloren und sind einfach im Moment und versuchen nicht, zu hinterfragen, das iranische «Go with the Flow», wie wir es zukünftig nennen werden. Am späteren Abend wird im Garten ein traditionelles dünnes Fladenbrot zubereitet und zusammen mit Fischsauce und Eiern gefüllt und als Sandwich serviert. Immer wieder kommen und gehen Menschen und alle sitzen friedlich im Garten auf grossen Decken zusammen. Eine schöne Stimmung und wir ertappen uns dabei, wie wir an die Schweiz denken und die Aufruhr, die es verursachen würde, wenn den ganzen Abend unangekündigt Gäste vorbeikommen würden.

Im kleinen Apartment von Sima und Alex dürfen wir anschliessend in einem separaten Zimmer traditionell auf dem Boden auf Decken übernachten und sogar unsere Kleider bei ihnen waschen. Ohne viel über uns zu wissen, teilen sie ihr ganz privates Leben mit uns. Ihre Freunde kommen auch vorbei und wir lernen uns kennen und trinken Tee und essen Früchte. Wir erfahren viel von ihnen über das Leben im Iran, ihre Wünsche und ihre Hoffnungen und es stimmt uns nachdenklich, in welcher wirtschaftlich prekären Situation die Menschen hier leben. Nur sehr wenige arbeiten in den Bereichen, die sie studiert haben und die meisten jungen und gut ausgebildeten Menschen möchten ihr Land verlassen. Noch oft werden wir solche Geschichten im Iran hören und dadurch wir uns die Ungleichheit unserer Welt täglich unmittelbar bewusst während wir das Land bereisen.

Menschen wie du und ich mit den gleichen Wünschen und Träumen und ganz unterschiedlichen Möglichkeiten, diese zu verwirklichen. Das zu erkennen und nichts dagegen tun zu können, stimmt uns sehr betrübt. Der Iran ist so anders als alles bisher Gesehene und doch auch irgendwie erfrischend normal. Der Iran wird uns lehren, unsere Bilder im Kopf beiseite zu schieben und sie neu zu übermalen und doch sollten wir bei allem Überschwang nicht vergessen, dass für uns als Besucher ganz andere Gesetze gelten, als für die Menschen vor Ort.

Der Iran beschenkt das Herz, wie wir noch lernen werden
Der Iran beschenkt das Herz, wie wir noch lernen werden

Am nächsten Morgen unternehmen wir zu sechst eine Tour mit dem Motorboot durch den Hara-Mangrovenwald bei Bandar Khamir. Die eindrücklichen Hara-Bäume wachsen im Salzwasser und haben ein besonderes Filtersystem, dass es der Pflanze erlaubt, Wasser aufzunehmen und es gleichzeitig zu entsalzen. Wir haben auf den Andamanen bereits einmal eine Mangroventour gemacht und sind begeistert von diesem einzigartigen Ökosystem. Der Bootsführer ist leider viel zu schnell unterwegs und mit einem nachhaltigen Naturerlebnis hat es nicht viel zu tun, doch wir lachen viel und geniessen das Zusammensein.

Hara-Mangrovenwald, der grösste zusammenhängende Mangrovenwald der Region
Hara-Mangrovenwald, der grösste zusammenhängende Mangrovenwald der Region
Volle Fahrt voraus durch den Mangrovenwald
Volle Fahrt voraus durch den Mangrovenwald

Als wir uns anschliessend voneinander verabschieden, haben wir das Gefühl viel mehr als nur knappe 20 Stunden miteinander verbracht zu haben und am liebsten würden wir die vier gleich mitnehmen zu unserem nächsten Reiseziel Qeshm und sie dort in unser Guesthouse einladen. Doch das würden sie nicht annehmen. Wir verabschieden uns mit dem Wissen, dass wir ihre unglaubliche Gastfreundschaft nicht retournieren können und müssen lernen, dies im Iran zu akzeptieren. In dieser kurzen Zeit haben wir das Gefühl, neue Freunde gefunden zu haben und durften einen ersten Einblick in das iranische Leben erhalten. Es macht uns neugierig auf dieses neue Land, das nach den ersten Tagen gar nicht mehr so fremd scheint und in dem wir nun langsam immer mehr ankommen werden. Wir starten mit so vielen Fragen in dieses Land, denn wenige Orte auf der Welt, projizieren so viele Bilder im Kopf wie der Iran, ohne, dass man jemals da war. Zu nah sind die Bilder von anti-westlicher Propaganda, von der Sittenpolizei, welche über die Einhaltung der islamischen Gesetze wacht, die vielen Verbote für Frauen und gleichzeitig denkt man beim Iran auch an 1001 Nacht und an Poesie, an Gärten voller Granatapfelbäume und Zypressen und an wunderschöne islamische Bauten. Wie passt das alles zusammen und wie lebt es sich in diesem Land? In den nächsten Wochen werden wir von unseren Erlebnissen und Begegnungen in diesem faszinierenden Land berichten und im nächsten Reisebericht nehmen wir euch mit auf die Inseln Qeshm und Hormuz im Persischen Golf.

Auch nach nur einer Nacht fällt der Abschied bereits schwer
Auch nach nur einer Nacht fällt der Abschied bereits schwer
Iran, wir sind gespannt wohin uns deine Strassen noch führen werden
Iran, wir sind gespannt wohin uns deine Strassen noch führen werden

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