29.10.2020

Bunker, abgelegene Täler und die albanische Gastfreundschaft (12)

Albanien Teil 2: Reise nach Tirana und via das abenteuerliche Devoll-Valley an den Lake Ohrid

Von Shkodra aus führte uns die erste Etappe bis ins Agriturismo Mrizi I Zanave im Dorf Fishte, wo uns als Hochzeitsgeschenk eine Übernachtung mit Abendessen erwartete (vielen Dank an dieser Stelle!). Wir assen himmlisch und sahen der Tiraner High-Society beim Landausflug in High Heels zu.

Agriturismo Mrizi I Zanave
Agriturismo Mrizi I Zanave
Leckeres Essen im Agriturismo
Leckeres Essen im Agriturismo

Früh aufgeweckt durch die zahlreichen Gänse auf dem Grundstück fuhren wir am kommenden Tag auf wenig befahrenen Landstrassen durch die albanischen Dörfer in Richtung Tirana, immer wieder neugierig betrachtet von den Einheimischen (vorwiegend Männern) in ihren Cafés. Es machte Freude hier unterwegs zu sein und Kleinigkeiten am Wegesrande entdecken zu dürfen. Immer wieder fielen uns bei den Häusern die aufgehängten Stofftiere auf, welche die Hausbesitzer vor dem bösen Blick schützen sollen. Für uns ungewohnt, dass ein verregneter uralter Synthetik-Schlumpf vor dem Haus vor neidischen Blicken schützen soll. Aber deshalb sind wir aufgebrochen; um Neues zu lernen, andere Perspektiven wahrzunehmen und manchmal auch einfach um manchmal ab kleinen Sonderheiten vor uns hinzuschmunzeln.

Kurz vor Tirana radelten wir durch einen Vorort, die Schule war gerade aus und überall winkten uns die Jugendlichen zu und boten uns auch an, beim Schieben der Fahrräder zu helfen, ging es mal etwas steiler bergauf. Wir wurden vor Tirana gewarnt (ausserhalb Albaniens vor den Albanern generell und innerhalb Albaniens vor der Grossstadt, der Kriminalität und dem Verkehr Tiranas). Wir fühlten uns jedoch wie überall in Albanien sehr sicher, auch in Tirana. Aber der Verkehr war tatsächlich haarsträubend. Eigentlich sitzt man als Einheimischer konstant im Stau und eine Metro würde vieles entlasten. So bewegten wir uns nur sehr langsam ins Stadtzentrum zu unserem Hostel.

Irgendwo in der Pampa auf dem Weg in die Hauptstadt
Irgendwo in der Pampa auf dem Weg in die Hauptstadt
Fragt sich, wohin die vielen Fussgänger wohl gehen sollen?
Fragt sich, wohin die vielen Fussgänger wohl gehen sollen?

Von Pyramiden und Bunkern

Wir verbrachten drei Nächte in Tirana (ca. 895'160 Einwohner) und erkundeten die Stadt. Die bewegte Geschichte des Landes hinterliess natürlich auch in der Architektur der Hauptstadt ihre Spuren. Schöne italienische Verwaltungsgebäude treffen auf sowjetische Blockbauten. Der überdimensionale Skanderberg-Platz wirkt monumental im Vergleich zu den Nebenstrassen und bietet einige interessante Gebäude wie den Uhrenturm, die Et'hem-Bey-Moschee, die Staatsoperoder das Nationalmuseum im kommunistischen Baustil mit einem riesigen Mosaik, das die Geschichte des Landes repräsentieren soll. Ein paar Meter weiter fühlt man sich auf dem Markt bereits etwas in den Orient versetzt und im Stadtviertel Biloku findet man viele angesagte und kreative Restaurants und Bars.

Kommunismus trifft auf Kapitalismus. Wie an vielen Orten im Osten. Aber Tirana setzt noch eines drauf, mit zwei Bunker-Museen in der Stadt und der Pyramide. Ja, richtig gelesen. Tirana hat eine Pyramide, eine ziemlich hässliche obendrein. Die Pyramide wurde als Museum zu Ehren vom kommunistischen Führer Enver Hoxha 1988 erbaut; jedoch nie fertiggestellt. Nach dem Ende seines Regimes verfiel die Pyramide und wurde ab und zu als Ausstellungsort genutzt und als Rave-Location (wen wundert’s?). Einsicht gibt eine kurze Doku, die auf Arte angesehen werden kann, für alle, die sich wie wir für verlassene kommunistische Gebäude faszinieren können: https://www.arte.tv/de/videos/086743-005-A/urbex-im-osten-5-8/
Leider war die Pyramide verschlossen und wir konnten sie nur von aussen begutachten (bestaunen wäre das falsche Wort). Heute stellt sich die Frage, ob man die Pyramide als Mahnmal der Geschichte mitten in der Stadt belassen soll oder ob sie nun endlich abgerissen gehört. Was meint ihr?

Die Pyramiden von Gizeh fand Lisa irgendwie eindrücklicher
Die Pyramiden von Gizeh fand Lisa irgendwie eindrücklicher

Nach den verschlossenen Türen der Pyramide ging es in den Untergrund. In Tirana gibt es zwei sehenswerte Bunker-Ausstellungen. Wir haben uns für den Besuch der Bunk’Art 1 entschieden, welche sich in einem Vorort befindet und mit dem Fahrrad für uns gut erreichbar war. Die beiden Bunker-Ausstellungen hängen natürlich direkt mit dem repressiven Diktator Enver Hoxha zusammen, der das Land im Wesentlichen 40 Jahre lang von der Aussenwelt abschottete. Wie viele seiner Genossen war er extrem paranoid und witterte überall mögliche Angriffe. Er verkrachte sich mit Jugoslawien, der UdSSR sowie dann auch noch mit China. Danach war er davon überzeugt, dass Albanien eines Tages angegriffen werden würde. Diese Paranoia verbunden mit Macht und Geld führte zu einem weltweit wohl einzigartigen Bunkerwahn.

Über 173'371 Bunker sollen in der Zeit von 1972 bis 1983 errichtet worden sein. Wirklich gezählt hat sie wohl niemand. Die meisten Bunker sind gedacht für ein bis vier Albaner und finden sich überall im Land verstreut (heute teilweise genutzt als Weinkeller, Viehstall, Bar oder Werbetafel). Aber die wichtigste und grösste Bunkeranlage, war natürlich für Enver Hoxha selber und seine engen Verbündeten geplant. Inspiriert von einer Reise nach Nordkorea baute Enver Hoxha hier seine Verteidigung gegen alles. Dank der Ausstellung Bunk’Art 1 hat man heute Zugang zu dieser gigantischen Anlage, die Enver Hoxha selbst nur zweimal besucht hat. Von hier aus sollte im Falle eines Angriffes das Land aus dem Untergrund regiert werden. Was einen hier erwartet ist äusserst grotesk. Durch endlose Korridore mit 106 Zimmern geht es auf fünf Etagen unter die Erde. Man kann das Zimmer und Büro von Enver Hoxha sehen oder den grossen Versammlungssaal für das Zentralkomitee. Alles sorgsam geplant, um das Überleben beim bevorstehenden Angriff zu gewährleisten.

Doch der Feind kam nie. Heute laufen Touristen durch den Bunker und Künstler lassen sich von der schauerlichen Atmosphäre animieren für diverse Kunstinstallationen. Wir verbrachten einige Zeit in den dunklen modrigen Gängen und waren froh, als wir wieder ans Tageslicht kamen und in die Sonne blinzeln konnten. Wir könnten euch noch ganz viele Details erzählen, aber was wäre dann wohl zu ausschweifend. Kleine Anekdote am Rande – man hat sogar Gasmasken für Pferde entworfen und diese dann bei Übungen für Ernstfälle auch erprobt. Diesen besonderen Museumsbesuch werden wir sicher nie vergessen.

Eingang in den Untergrund
Eingang in den Untergrund
Eine von vielen langen Gängen im Bunk'Art 1
Eine von vielen langen Gängen im Bunk'Art 1

Einiges aufstellender war der Besuch bei der kleinen Garage vom Bike Doctor. Denn wir hatten immer noch keinen neuen Reifen für Darios Fahrrad. Der nette junge Mann war sehr hilfsbereit und rief gleich bei seinen Kollegen an, ob irgendjemand noch einen passenden Reifen von Schwalbe für uns hätte und sogar spät abends war er noch erreichbar. Leider hatte auch er kein Glück, dafür schenkte er uns zwei Fahrradschläuche mit auf den Weg. Wir sind immer wieder gerührt vor der unglaublichen Gastfreundschaft überall.

Alles in allem hat uns Tirana eigentlich gut gefallen, die Stadt bietet einen spannenden Mix und ist voller Leben. Wir finden es immer spannend, die grösste Stadt eines Landes zu besuchen und somit die modernsten Seiten eines Landes kennenzulernen. Es ist ein schöner Kontrast zu den Fahrten durch kleine Dörfer und eindrückliche Landschaften. Nach einem Stadtbesuch freuen wir uns immer wieder auf gemütlichere Tage mit viel Natur und nach mehreren Tagen in der Pampa geniessen wir das urbane Leben ebenso. Die Abwechslung macht es halt aus und die liess in Albanien nicht lange auf sich warten.

Seenlandschaften und Öl-Tristesse

Eine schöne Bergetappe mit spektakulären Ausblicken führte uns von der Hauptstadt weg in eine Region voller Seen, eingebettet in eine geschwungene Hügellandschaft. Wir stellten unser Zelt in einem Olivenhain auf mit Seeblick. Eigentlich wäre die Gegend sehr ansprechend mit ihren vielen Seen und auch industrie-historisch interessant, aber es fehlt komplett an einer touristischen Infrastruktur und wir sahen keine Restaurants oder Hotels unterwegs.

Am nächsten Tag fuhren wir weiter in die Industriestadt Kuçova, dem Zentrum der albanischen Erdölindustrie. Seit den 30er Jahren wurde hier Erdöl gefördert, aber seit Ende des Kommunismus stehen die Ölfördertürme still. Die Relikte aus der Zeit sind jedoch überall sicht- und riechbar. Kleine Ölpumpen stehen mitten in den Gärten, neben ausgedehnten Gewächsfeldern oder auf einem Friedhof. Das genau ausgerechnet hier so viele Gemüsefelder stehen ist uns ein Rätsel. Die Menschen leben inmitten dieser alten Ölpumpen, ständig umgeben vom Ölgeruch. Dies hat sicher Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit. Eine bedrückende Stimmung herrschte hier und wir wollten nur noch weiterfahren und freuten uns auf die Stadt Berat.

Ölpumpen und Gewächshäuser vor Kuçova
Ölpumpen und Gewächshäuser vor Kuçova
Und beim Friedhof darf die Ölpumpe auch nicht fehlen
Und beim Friedhof darf die Ölpumpe auch nicht fehlen

Berat – die Stadt der tausend Fenster

Wir verbrachten zwei Tage im schönen Berat (ca. 65'000 Einwohner) und schlenderten durch die engen Gassen im muslimischen Viertel Mangalemi und im griechischen Viertel Gorica auf der anderen Flussseite. Die sehenswerte Altstadt wurde 2008 ins UNESCO-Welterbe aufgenommen. Berat ist unsere erste historische Altstadt in Albanien (und leider auch die einzige, da wir durch unsere Routenänderung die Stadt Gjirokastra im Süden nicht besuchen können). Über eine steile kopfsteingepflasterte Strasse liefen wir hoch zur Zitadelle, der Burgstadt, die mächtig über Berat thront. Diese ist noch immer bewohnt und dient nicht nur touristischen Zwecken. Von hier aus bietet sich eine schöne Sicht über die umliegenden Berge und die verschiedenen Stadtviertel von Berat. In den schmalen Strassen befinden sich zahlreiche Kirchen, eine Moschee, ein Museum sowie eine Zisterne. Wir geniessen es hier oben unterwegs zu sein und haben die Zitadelle fast für uns. Nur wenige andere Gäste und zwei Pferde sind noch unterwegs. Als wir beim Vorbeigehen einen grossen Garten bestaunen, schenkt uns der Besitzer spontan zwei Kaki-Früchte. Einfach so. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Albanien, du überraschst uns immer wieder.

Berat - die Stadt der tausend Fenster
Berat - die Stadt der tausend Fenster

Neben der schönen Altstadt hielt Berat noch ein weiteres Highlight für uns bereit – Lili und seine Taverne «Homemade Food Lili». Im kleinen Innenhof sitzt man an Holztischen Marke Eigenbau und sucht sich das Essen auf der grossen hölzernen Speisekarte anhand vergilbter Bilder aus. Es gibt eigentlich nur etwa fünf Gerichte, die aber alle ausgezeichnet schmecken. Der eigentliche Höhepunkt ist aber Lili selber, der mit viel Leidenschaft die Gäste bedient, alle Namen kennt und für viel Unterhaltung sorgt, besonders als es dann Zeit für Raki war. So schnell vergessen wir das Abendessen hier wohl nicht. Und die wenigen Touristen, die sich noch in der Stadt tummeln, finden sich auch alle hier ein. Wir gehen am nächsten Tag gleich nochmals vorbei. So einen Lili gibt es schliesslich kein zweites Mal.

Grandioses Essen bei Lili
Grandioses Essen bei Lili

Abenteuerliches Devoll-Tal

Wir hörten auf die Empfehlung anderer Radreisender und entschieden uns für die wenig befahrene Route entlang dem Fluss Devoll für unsere Weiterreise an den Ohridsee. Die nördliche Route von Elbasan aus östlich wäre sicher effizienter gewesen, aber seit wann, möchten wir einfach nur vorwärtskommen? Die abgelegene Gegend rund um den Fluss Devoll sah bereits auf der Landkarte sehr verlockend aus. Von Berat aus machten wir uns also nun auf in Richtung Provinzort Gramsh. Da sahen wir nochmals ein paar Restaurants und moderne Cafés, danach war es dann damit vorbei für die nächsten 2.5 Tage. Es wurde immer einsamer und gab immer weniger Verkehr auf den Strassen. Zwischendurch kamen zwar immer wieder ein paar Dörfer, die jedoch oft keinen Laden besassen. Dafür wurden wir reich mit Obst beschenkt. Einmal wollten wir zwei Äpfel kaufen und mussten dafür nichts bezahlen, ein anderes Mal drückte uns eine alte Frau wortlos einen Sack frischer Trauben in die Hand. Was für schöne Gesten. Wir versuchten uns mit Händen und Füssen zu verständigen und unseren wenigen Brocken Albanisch und irgendwie ging es immer.

Wobei der Mann an der Tankstelle zuerst schon etwas verwirrt guckte, als wir zwei Velofahrer plötzlich anhielten und nach Benzin fragten. Als wir dann erklären, dass wir es für unseren Benzinkocher benötigen, war dann alles klar und wir unterhielten uns noch etwas über die geplante Route. Auch er meinte, die Route ab Elbasan sei doch viel besser…

Wir liessen uns aber nicht beirren und fuhren weiter entlang dem Fluss Devoll. Unterwegs entdeckten wir plötzlich eine Schildkröte, welche die Strasse überquerte und die wir gerade noch rechtzeitig vor einem heranrasenden Lastwagen retten konnten. Wir brachten sie dann in den Wald zu einer anderen Schildkröte. Wir haben noch nie vorher so viele freilebende Schildkröten gesehen wie hier in Albanien. Die Landschaft wurde immer spektakulärer als wir nach dem engen Flusstal den blau schimmernden Stausee erreichten.

Schildkröten-Rettungsaktion, leider war sie etwas scheu
Schildkröten-Rettungsaktion, leider war sie etwas scheu

Leider waren diese Panoramaaussichten nicht ohne Anstrengung zu haben. Es ging oftmals mit einer 10% Steigung hoch, eigentlich immer und das während fast 70 Kilometern. Am Schluss folgten noch ein paar fiese Serpentinen, aber dann waren wir oben. Zur Belohnung fanden wir einen grossartigen Campingplatz auf einer Blumenwiese und gleich bei einer Wasserquelle. Besser geht’s nicht. Wir hängten unsere mobile Dusche auf, wuschen uns und assen eine riesige Portion Pasta.

Danke Topographie
Danke Topographie
Endlich oben angekommen
Endlich oben angekommen
Wunderschönes Devoll-Tal
Wunderschönes Devoll-Tal

Erst am nächsten Morgen realisierten wir auf einer Infotafel, dass wir uns im Gebiet von Bären und Wölfen aufgehalten haben. Leider regnete es in der Nacht und somit waren unsere Fahrräder nach wenigen Metern voller Schlamm. Zum Glück hatten wir ja gleich die Wasserquelle um die Ecke. Somit ging unser erstes Schlammerlebnis noch glimpflich aus. Doch die Waschaktion brauchte ihre Zeit. Auf Schotterstrassen erreichten wir nach zwei weiteren Stunden ein kleines Dorf und freuten uns auf ein Frühstück. Jedoch trinken die Einheimischen nur immer türkischen Kaffee in den Tavernen und niemand schien jemals zu essen. Wir versuchten unser Glück trotzdem und fragten nach Käse und Brot. Der Wirt stakste davon und blieb ziemlich lange weg. Dann kam er zurück mit gebackenem Käse und Brot. Er ging wohl kurz nach Hause und holte frisches Brot bei seiner Familie. Denn bei den Albanern hat es Tradition, das an vielen Orten noch täglich Brot gebacken wird und das Brot schmeckt wirklich oftmals vorzüglich.

Wieder bei Kräften fuhren wir weiter in den Ort Maliq, deckten uns in der Bäckerei mit Süsswaren ein und fuhren die letzten Kilometer durch Albanien bis an den Ferienort Pogradec am Ohridsee. Wir setzten uns in ein Restaurant mit Speisekarte (!) und genossen diesen Komfort nach den letzten anstrengenden Tagen ab vom Schuss. Kurz vor der Grenze zu Nordmazedonien kamen wir an zwei Bunkern vorbei, sahen Flamingos im See und nochmals eine gemächlich dahintrabende Schildkröte mitten in der Stadt Pogradec. Das waren unsere letzten Eindrücke Albaniens, anschliessend ging es hoch in den Wald zur nordmazedonischen Grenze.

Albanien, wir werden dich vermissen. 15 Tage waren viel zu wenig und wir kommen definitiv zurück und entdecken das nächste Mal die Küste und den Süden. Wir können eine Reise nach Albanien nur wärmstens empfehlen und sind absolut begeistert von diesem Land mit seiner aussergewöhnlichen Gastfreundschaft.


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