01.02.2022

Geheimnisvolles Musandam: Schroffe Berge und spektakuläre Fjorde (34)

Die arabische Welt Teil 2: Die abgelegene Halbinsel Musandam

Sobald wir mit dem Rad die Grenze in den Oman überqueren, befinden wir uns in einer anderen Welt. Die Hochhäuser der Emirate weichen niedrigen Gebäuden, die sich architektonisch perfekt in die Landschaft integrieren. Die vielen Autos machen Platz für Ziegenherden und die grossen Malls weichen kleinen Supermärkten mit einem begrenzten Angebot. Wir reiben uns die Augen, können Grenzen einem wirklich so schnell in eine andere Umgebung katapultieren? Normalerweise kündigt sich doch das nächste Land bereits vor der Grenze etwas an, aber nicht hier. Wir sind plötzlich alleine auf der Strasse und es wird unglaublich ruhig. Endlich können wir wieder atmen. Wir lächeln uns an und wissen sofort, der Oman war die richtige Entscheidung.

Wir befinden uns auf dem Weg in die omanische Exklave Musandam, welche ganz im Norden des Landes liegt, an der Strasse von Hormus, die den Persischen oder Arabischen Golf mit dem Golf von Oman verbindet. Auf einem Gebiet von knapp 100 Kilometern trennen die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) Musandam vom Rest des Omans. Alleine das Wort Musandam klingt für uns nach geheimnisvollem Orient und wir sind gespannt auf diesen einsamen Winkel des Landes mit seinen kargen Landschaften und Fjorden, die an Norwegen erinnern sollen. Und wir sind generell sehr neugierig auf den Oman, der ein immer beliebteres Reiseziel wird und so ganz anders sein soll als die Emirate. Ein Staat, der seine kulturelle Identität nicht verloren hat und ein arabisches Land ohne Dubai-Gigantismus. Der erste Eindruck enttäuscht nicht, denn wir sind umgeben von wilder Naturschönheit. Wie haben wir das vermisst in den Emiraten.

Strasse nach Khasab
Strasse nach Khasab
Eine der schönsten Radstrecken bisher
Eine der schönsten Radstrecken bisher

Wir sind überwältigt von den Ausblicken entlang der Küstenstrasse in den Provinzhauptort Khasab. Rechts von uns befinden sich steile Felsen und links das glasklare Wasser. Endlich können wir wieder direkt am Strand unser Zelt aufstellen. Es ist sauber, keine Plastikflasche schwimmt im Meer, dafür sehen wir eine Roche im knietiefen Wasser. Das Wasser steckt voller marinem Leben, so voll, dass wir uns nicht mal richtig getrauen, schwimmen zu gehen. Aber zuerst heisst es sowieso erst Mal ankommen und realisieren, wo wir gelandet sind. Werfen wir also mal kurz einen Blick auf das Sultanat Oman, ein Land, das etwas grösser ist als Deutschland.

Rasante Entwicklung im Weihrauchland und ein halbes Jahrhundert Qaboos

Wenn man sich mit dem Oman befasst, stösst man mit Sicherheit auf den Namen Qabos Ibn Said (1940 – 2020), besser bekannt als Sultan Qaboos. Der beliebte Sultan stand fast 50 Jahre an der Spitze des Oman und führte das Land behutsam in die Moderne. Das war auch nötig, denn der Oman blieb wirtschaftlich lange zurück im Vergleich zu seinen Nachbarländern und gehörte zu den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt. Bis in die 70er Jahre gab es nur 11 km asphaltierte Strasse und 98% Analphabeten. Das änderte sich alles, als Qaboos Ibn Said seinen Vater 1970 unterstützt von den Briten vom Thron stürzte und begann mit Hilfe der Einnahmen aus der Erdölförderung einen modernen Staat aufzubauen. Der damals junge Sultan holte Gastarbeiter aus Asien in den Oman, welche inzwischen mehr als die Hälfte der fast fünf Millionen Einwohner ausmachen. Er setzte auf Reformen, Bildung und den Ausbau der Infrastruktur unter gleichzeitiger Bewahrung der kulturellen Identität und gewann dadurch eine bis heute andauernde Beliebtheit im ganzen Land.

Überall trifft man auf Sultan Qaboos
Überall trifft man auf Sultan Qaboos

Heute könnten fast 90% der omanischen Männer und 70% der omanischen Frauen lesen und schreiben. Wohl kaum ein anderes Staatsoberhaupt in der Golfregion hat die Frauen so gefördert wie Qaboos. Die omanischen Frauen können reisen, studieren und arbeiten in den unterschiedlichsten Berufen. Fast die Hälfte der Studierenden sind Frauen und sie übertreffen oftmals ihre Kollegen in Studienzweigen wie Ingenieurwissenschaften und Medizin. Der Wandel im Oman ging erstaunlich rasant voran. Wo früher die Schule aus einem Zelt mit einem Palmdach bestand und auf Kamelknochen mit Kohle geschrieben wurde, stehen heute moderne Schulgebäude mit Internetanschluss und Klimaanlagen.

Bestens ausgebaute Strassen führen in entlegene Dörfer und die meisten Omanis besitzen ein Haus, denn jeder kann um ein Grundstück bitten und erhält dies grundsätzlich auch. Man muss danach allerdings innerhalb von zwei Jahren auf diesem Land bauen oder wenigstens mal pro forma ein paar Steine hinstellen. Fast durchgängig regierte Sultan Qaboos bis zu seinem Tod im Jahr 2020 und seine Amtszeit wird auch als die «Renaissance des Oman» bezeichnet. Sein vorbildliches Modernisierungskonzept ohne Aufgabe der Traditionen hat den Oman strategisch gut für die Zukunft vorbereitet. Unter Qaboos wurde die «Omanisierung» vorangetrieben und man sieht Einheimische in vielen Bereichen der Gesellschaft ihr Einkommen finden im Vergleich zu den Emiraten. Und auch wir treffen immer wieder auf Einheimische, die als Fischer ihr Auskommen finden oder traditionelles Kunsthandwerk herstellen. Trotzdem wünschen sich die meisten Eltern für ihre Kinder einen Uni-Abschluss und sehen sie lieber im Militär und in der Verwaltung statt beispielsweise in handwerklichen Berufen. In den Branchen, die den Omanern wenig attraktiv erscheinen, arbeiten heute vor allem Menschen aus Indien, Pakistan und Bangladesch. Sie verdienen mehr als in ihren Heimatländern, aber viel weniger als die Einheimischen.

Die Jugendarbeitslosigkeit ist nur ein Problem, mit dem der Nachfolger von Sultan Qaboos, sein Cousin und ehemaliger Kulturminister, Sultan Haitham ibn Tariq, zu kämpfen hat. Dazu kommt, dass die Einnahmen aus der Erdölförderung nicht reichen, um die üppigen Staatsausgaben zu finanzieren. Die Wirtschaft wird sich weiterhin diversifizieren müssen und es bleibt offen, in was für einem Oman die junge Generation von heute später aufwachsen wird.

Wie sieht die Zukunft des Sultanats wohl aus?
Wie sieht die Zukunft des Sultanats wohl aus?

Doch von all diesen alltäglichen Problemen sehen wir zuerst mal nichts, denn wir sind einfach nur sprachlos ab der Schönheit, die uns umgibt. Doch schnell sind wir wieder zurück von unserem Orientmärchen in der Realität, denn wir haben Hunger und suchen einen Supermarkt. Leider stellen wir schnell fest, dass es im Oman eine Siesta-Zeit gibt und es somit nach dem Mittag in kleineren Orten unmöglich ist, einzukaufen. Generell sehen wir fast keine Menschen auf den Strassen, dafür haufenweise Ziegen. Kurz darauf erfahren wir auch, woher die vielen Ziegen kommen und zwar aus dem Iran.

Ziegenschmuggel und Delfine in der omanischen Fjordlanschaft

Wir kommen am Hafen von Khasab an und sehen zahlreiche kleine Motorboote, die über das Meer sausen. Sie kommen aus dem Iran und schmuggeln Ziegen und Schafe vom Iran in die Emirate und erhalten dafür elektronische Güter, die im Iran mit Sanktionen belegt sind. Ein halblegaler Schmuggel, der sich jedoch in aller Öffentlichkeit am helllichten Tag abspielt. Am Hafen herrscht ein geschäftiges Treiben und wir sehen viele Lastwagen mit der riechenden und blökenden Schmuggelware auf der Ladefläche.

Khasab (ca. 12'000 Einwohner) ist der Hauptort von Musandam und mit einer Strasse mit den VAE verbunden. Zum restlichen Oman geht es nur mit einer 4-stündigen Fähre, die nicht täglich fährt. Wir kommen leider gerade an einem Abfahrtstag an und müssen ganze fünf Tage in Musandam verbringen, bis die nächste Fähre geht. Da wir nur ein Touristenvisum für 30 Tage haben, wollten wir nicht so lange in der Exklave verbringen, sondern dafür mehr vom restlichen Land sehen. Wir machen das beste aus der Situation und erkunden die ruhigen Strassen von Khasab und besuchen das Fort mit seinen massiven Steintürmen und mit Zinnen versehenen Festungsmauern. Es wurde im 17. Jahrhundert von den Portugiesen erbaut, denn sie beherrschten die Strasse von Hormus während fast 200 Jahren.

Doch nun wird es Zeit, uns der Hauptsehenswürdigkeit von Musandam zu widmen: der eindrücklichen Fjordlandschaft. Wir buchen einen Ausflug mit einem traditionellen arabischen Holzboot, einer Dhow, und schippern gemächlich durch den Khor Ash Sham, den längsten und eindrücklichsten Fjord. Wir werden dabei immer wieder von Delfinen begleitet und erfahren, dass sie bis zu 60 km/ h schnell werden können. Das Wasser ist glasklar und wir erkennen Rochen, Seesterne und farbenfrohe Fische. Es fühlt sich an wie in den Ferien.

Khasab Fort
Khasab Fort

Abgelegene Fischerdörfer, Inselkoller und eine fast romantische Nacht

Ca. 30'000 Menschen leben auf Musandam. Durch die Abgeschiedenheit war die Region lange nicht von Bedeutung und bis in die 1980er Jahre gab es kein Radio oder Telefon. Und eines gibt es in Musandam immer noch nicht: Trubel, Hektik und Touristenmassen. Der Tourismus hier ist noch relativ jung, denn erst seit 1992 darf man die Halbinsel bereisen, davor war sie militärisches Sperrgebiet. Die Menschen leben vom Fischfang und der Landwirtschaft.

Wir sehen vom Boot aus einige sehr abgelegene Fischerdörfer, in denen noch Kumzari gesprochen wird, das zur iranischen Sprachfamilie gehört. Diese Dörfer sind ausschliesslich über Wasser erreichbar und werden von Hirten- und Fischerfamilien nur im Winterhalbjahr bewohnt. Im Sommer ziehen die Familien nach Khasab, wenn die Hitze im Fjord unerträglich wird. Die Dörfer bestehen nur aus wenigen Häusern und sind direkt am Wasser gebaut. Die Kinder nehmen das Boot nach Khasab, um in die Schule zu kommen. Stellt euch vor, jeden Tag begleitet von Delfinen in die Schule zu pendeln… wer würde nicht gern so aufwachsen, umgeben von solch intakter Natur?

Wir besuchen mit dem Kajak die kleine Telegraph Island mitten im Fjord. Hier verlegten die Briten 1864 das erste Unterwasser-Telegraphenkabel von Indien bis in den Irak. Doch bereits nach fünf Jahren wurde die Insel wieder verlassen, denn die Einsamkeit dort war für die stationierten Engländer unerträglich und kein Pub in Sichtweite. Die Ruinen sind heute noch zu sehen. Wir blicken auf die Berge um uns mit den hier typischen Akazien und unter uns bewegt sich eine Roche elegant durch das Wasser. Es ist atemberaubend schön. Wir übernachten auf weichen Kissen auf der Dhow und geniessen die Ruhe und das sanfte Plätschern der Wellen. So ganz romantisch wie ihr euch das nun vielleicht vorstellt ist es aber nicht, denn unsere beiden Bootsführer sind ebenfalls anwesend und übernachten auf der Dhow. Sie kommen aus demselben Dorf in Indien und sind zusammen in den Oman gekommen, um hier Geld zu verdienen und damit ihre Familien in der Heimat zu unterstützen. Wir erinnern uns an die vielen Gastarbeiter in den Emiraten und denken, dass sie es hier im Oman definitiv besser haben.

Telegraph Island
Telegraph Island
Auf dieser Dhow übernachten wir
Auf dieser Dhow übernachten wir
Lisa wollte am liebsten noch länger auf der Dhow bleiben
Lisa wollte am liebsten noch länger auf der Dhow bleiben

Die andere Seite von Musandam: Berg-Safari in das Hajar-Gebirge

Wieder zurück in Khasab erwartet uns ein kompletter Kontrast, denn wir unternehmen eine Jeeptour auf einer Schotterpiste in die fast 2000 Meter hohen Berge, hoch zum Jebel Harim, dem höchsten Punkt Musandams. Tiefe Schluchten und Felswände umgeben uns und dann stehen wir plötzlich vor dem As Sayh-Plateau, einer grünen Hochebene mit kleinen Dörfern mit Steinhäusern. Auf Feldern und Wiesen grasen Esel und Schafe und es gedeihen Dattel- und Bananenpalmen. Früher war hier alles von einem Ozean bedeckt und Spuren davon sieht man noch heute auf den Felsen. Wir erkennen Fossilien von Muscheln und Fischen auf den Felsen, ein offenes Buch der Erdgeschichte. So etwas haben wir noch nie gesehen.

Als Abschluss besuchen wir noch den Khor Najd mit der wohl berühmtesten Aussicht in Musandam auf eine steile Strasse, die hinunter zur Lagune führt. Am Abend stellen wir unser Zelt wieder am Hausstrand von Khasab auf, dem traumhaften Bassa Beach. Unsere fünf Tage in Musandam gehen schnell vorbei und wir konnten einen ersten Einblick in die omanische Kultur erhalten. Wir sind begeistert von dem Kontrast zwischen den Fjorden und den Bergen und finden Musandam ist definitiv eine Reise wert. Wir fahren zum Hafen und nehmen Platz in der Kabine neben den Frauen und ihren Kindern. Die Männer sind zwar auch an Bord, aber sitzen in einem anderen Raum. Diese Trennung der Geschlechter auch bei gemeinsamen Ausflügen werden wir noch öfters zu sehen bekommen in der arabischen Welt. Wir werfen einen letzten Blick auf die malerischen Fjorde von Musandam und fahren entlang von den iranischen Schmugglerbooten mit ihrer lebendigen Fracht in Richtung der omanischen Küste, nach Schinas. Im nächsten Blog nehmen wir euch mit auf eine landschaftlich reizvolle Strecke über die Berge und wir verraten euch, wie man sich früher mit Datteln gegen Feinde zur Wehr setzte.

Das Postkartenmotiv von Musandam: Khor Najd
Das Postkartenmotiv von Musandam: Khor Najd

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