10.12.2022

In den Bergen Kirgistans: Pferde und Jurten soweit man blickt (51)

Zentralasien Teil 3: Von Kochkor über den Song-Kul nach Osch

Wir schreiben diese Zeilen während wir im Hochgeschwindigkeitszug entlang der Städte der alten Seidenstrasse in Usbekistan rauschen und unsere Gedanken nochmals zurückschweifen lassen zu den ausgedehnten Sommerweiden in den Bergen Kirgistans. Einer unserer absoluten Höhepunkte diesen Sommer war der Besuch vom Bergsee Song-Kul. Der malerische See kann nur über schlechte Schotterstrassen erreicht werden und man muss einiges an Proviant und Wasser mitnehmen für den Aufenthalt. Nach zwei anstrengenden Tagen auf Schotterstrassen erreichten wir im August den Kalmak-Ashuu Pass auf 3447 m und waren zugegebenermassen schon etwas stolz auf uns, war dies doch der höchste Pass der bisherigen Reise und trotz den teils steilen Abschnitten auf dem Weg, war es nicht so anstrengend wie befürchtet. Und kaum haben wir wieder Luft geholt, erspähen wir bereits den berühmten Bergsee Song-Kul in der Ferne, was für ein Anblick.

Wir erreichen unseren aktuell höchsten Pass
Wir erreichen unseren aktuell höchsten Pass
Auch die Einheimischen freuen sich, auf dem Pass zu stehen
Auch die Einheimischen freuen sich, auf dem Pass zu stehen

Idylle pur am Bergsee Song-Kul auf 3000 Metern

Nach dem Issyk-Kul ist der südwestlich gelegene Song-Kul der zweitgrösste Bergsee Kirgistans und liegt auf knapp 3000 Metern mitten im Inneren Tian-Shan Gebirge. Der See ist über verschiedene Pässe im Sommer erreichbar und bereits die Anreise führt durch wunderschöne Landschaften, doch die Ankunft am See ist einfach überwältigend. Wir fahren entlang von Jurten und grossen Tierherden, überall sehen wir Kühe, Schafe und vor allem Pferde. Pferde wohin man blickt. Dario grinst mich an und meint «eine wahrlich verschissene Gegend». Während wir auf den Pass fuhren, überholten uns immer wieder Trucks, die mit Tieren beladen waren, welche auf die Sommerweiden hochgebracht werden. Das geschieht hier per Pick-Up und nicht wie in Tuschetien in Georgien mit einem anstrengenden Fussmarsch.

Noch nie haben wir so viele Tiere auf einmal gesehen
Noch nie haben wir so viele Tiere auf einmal gesehen

Die Moderne hat auch hier etwas Einzug gehalten und die touristischen Jurtencamps werben mittlerweile sogar mit Wi-Fi und können über booking.com reserviert werden. Doch das täuscht nicht darüber hinweg, dass hier die Nomaden während den Sommermonaten von Juni bis September immer noch im Einklang mit der Natur leben. Das Leben ist ganz dem Rhythmus der Natur angepasst und unglaublich entspannt. Natürlich gibt es immer was zu tun und man steht frühmorgens auf und schaut nach den Tieren, stellt tagsüber frisches Brot und natürlich Milchprodukte wie Butter, Joghurt und das gewöhnungsbedürftige Kumys her (vergorene Stutenmilch), wäscht die Kleidung in einem der Zuflüsse zum See und treibt abends die Tiere wieder zusammen. Doch wir sind hin und weg, dass solch ein Ort überhaupt noch existiert und sobald man am Song-Kul ankommt, erfasst einem diese besondere Ruhe.

Es ist ein Ort, um etwas länger zu verweilen und wir können uns vorstellen wie toll es erst für die Kinder sein muss, den Sommer hier oben zu verbringen und einfach den ganzen Tag herumzutollen und zu reiten. Etwas Abwechslung bieten natürlich auch Radreisende, die mit etwas Glück Süssigkeiten mitbringen. Aufgeregt kommen die Kinder aus allen Ecken auf uns zugerannt und fragen nach «Yam Yam», was wir mal mit Bonbons interpretieren und unseren Vorrat auspacken. Für diesen Fall haben wir extra eine grosse Portion Bonbons in der Kleinstadt Kochkor gekauft und die Kinder scheinen schon fast zu erwarten, dass wir für sie Süssigkeiten dabeihaben. Und es ist keine Überraschung, dass die Kinder hier oben mit dem Gehen auch gleich das Reiten erlernen und richtig Mitleid haben, als sie erfahren, dass wir trotz unseres fortgeschrittenen Alters beide noch nie länger auf einem Pferd sassen.

Alle Kinder hier oben können reiten
Alle Kinder hier oben können reiten

Wir haben Glück mit dem Wetter und ein paar schöne Tage mit milden Temperaturen erwischt, denn an 200 Tagen im Jahr liegt hier Schnee und der Song-Kul ist mit einer Eisdecke überzogen. Doch jetzt im Sommer hat es angenehme 20° Grad Lufttemperatur und auch der See selber lädt hartgesottene Schwimmer zu einem bei 10° Grad allerdings eher kurzen Bad ein. Auch wir können es nicht lassen und springen nach der Passüberquerung in den glasklaren See und blicken auf die mächtigen Gipfel um uns, die vielen Jurten und Pferde und können unser Glück kaum fassen. Als wir dann auch noch unser Zelt direkt am Seeufer aufstellen und den ersten Sonnenuntergang am Bergsee erleben und nachts die Sterne zum Greifen nah sind, ist die Idylle fast perfekt. Wäre Radreisen immer so, würden wohl noch viel mehr diese Reiseart wählen. Wir sind erneut sprachlos ab der Schönheit der Natur hier in Kirgistan. Egal wo wir bisher waren, es war einfach nur spektakulär, doch der Song-Kul ist nochmals eine eigene Liga.

Nach einer Badepause stellen wir unser Zelt direkt am Seeufer auf
Nach einer Badepause stellen wir unser Zelt direkt am Seeufer auf
So viel Idylle bleibt natürlich nicht unbemerkt und wir bekommen Besuch
So viel Idylle bleibt natürlich nicht unbemerkt und wir bekommen Besuch
Vielleicht etwas kitschig, aber so sah es tatsächlich aus
Vielleicht etwas kitschig, aber so sah es tatsächlich aus

Wir fahren dem See entlang auf holprigen Naturstrassen und müssen immer wieder Platz machen für zahlreiche Tierherden. Immer wieder passieren wir Jurten und sehen auch einige Touristen unterwegs. Die ganze Szenerie mit dem See im Hintergrund und dem blauen Himmel ist einfach nur malerisch und wir entscheiden drei Tage am See zu bleiben. Doch nicht immer nur im Zelt, natürlich muss man hier oben ja schon fast in einer Jurte übernachten. Es hat zahlreiche grössere touristische Jurtencamps mit einer grossen Essensjurte und sogar mit Dusche, aber es gibt auch die Möglichkeit einfach bei einer Familie nach einem Schlafplatz zu fragen und so ein authentischeres und rustikaleres Erlebnis zu bekommen. Doch wir sind etwas faul und der Gedanke an eine Art Dusche ist schon ziemlich verlockend und somit gehen wir in ein mittelgrosses Touristencamp, das sich in Gehdistanz zum See befindet und zu unserer Überraschung sogar über eine Dusche mit Warmwasser verfügt. Damit hätten wir nicht gerechnet, aber wir nehmen es dankend an.

Wie auch sonst in Kirgistan zur Hochsaison hat es in diesem Camp ziemlich viele Touristen aus den unterschiedlichsten Ländern und alle eint die Begeisterung für das Land und die besondere Stimmung hier am Bergsee. Auch einige professionelle Reiterinnen sind dabei, die ein mehrtägiges Pferdetrekking machen. Wir dürfen es hier in Kirgistan ja fast nicht zugeben, doch wir haben keine Ahnung von Pferden und vom Reiten. Daher machen wir nur einen ganz kurzen Reitausflug vom Jurtencamp aus in ein Tal und es ist sehr angenehm, doch wir bevorzugen immer noch unseren Drahtesel.

Viel zu tun gibt es am Song-Kul nicht, man wandert, reitet, springt in den See und lässt einfach die Natur auf sich wirken und mummelt sich abends in die vielen Decken ein und schläft selig in der Jurte ein. Es ist einfach nur herrlich und stellt sich als ein Höhepunkt der Reise heraus.

In einer Jurte in Kirgistan zu übernachten gehört zu den schönsten Erlebnissen
In einer Jurte in Kirgistan zu übernachten gehört zu den schönsten Erlebnissen
Typisches Frühstück in einer Jurte
Typisches Frühstück in einer Jurte
Entspannung pur
Entspannung pur

Kok Boru: Eine geköpfte Ziege wird zum Spielball

Hier am Song-Kul werden uralte Bräuche und Sitten noch gepflegt, unter anderem das beliebte Kok-Boru. Zwei Reiterteams mit je vier Spielern reissen sich auf Pferden um die Leiche einer Ziege oder eines Schafes. Klingt archaisch? Ist es auch.

Das Spiel gibt es seit 1000 Jahren und die Vorfahren der heutigen Nomaden haben es jahrhundertelang in den Bergen gespielt. Als Kirgistan zur Sowjetunion gehörte, wurde es verboten, aber in den Dörfern trotzdem heimlich weitergespielt. Während den World Nomad Games kann man dieses Spiel mit grossem Publikum beiwohnen, doch eigentlich wird es hauptsächlich im Winter gespielt. Wenn man also am Song-Kul das Kok-Boru im Sommer erleben möchte, muss man mit einer Reisegruppe unterwegs sein und dann wird eine kurze Vorstellung organisiert oder man muss einfach etwas Glück haben und sich ein paar Leuten anschliessen können wie in unserem Fall. Zufälligerweise findet in einem benachbarten Jurtencamp gerade eine Vorstellung statt und wir dürfen daran teilnehmen.

Wir kommen gerade rechtzeitig für die Schlachtung der Ziege. Das Tier wird zuerst gesegnet und anschliessend geköpft und dann mit groben Stichen genäht, damit sich die Organe nicht übers Spielfeld verteilen. Das Ganze geht ziemlich schnell und überall spritzt Blut auf das Gras, während die Hunde gierig im Kreis rennen. Auf dieses Erlebnis hätten wir verzichten können. Doch wir reisen nicht zum Urteilen, sondern zum Beobachten und Lernen, was aber nicht heisst, dass wir alles gutheissen, was wir sehen. Es ist manchmal schwierig fremde Bräuche einfach zu akzeptieren und sich komplett von dem europäischen Mindset zu lösen. Irgendwie drängt sich uns schon etwas die Frage auf, weshalb man nicht einfach um einen harmlosen Ball spielt. Andererseits haben die Kirgisen grossen Respekt für ihre Tiere und da die Siegermannschaft die Ziege erhält, gibt es anschliessend ein grosses Festmahl für die Familie. Den Kopf der Ziege erhalten übrigens die Hunde, welche das Spiel mit lautem Gebell begleiten. Trotzdem, etwas mulmig ist uns bei dem Ganzen schon.

Ready, steady, goat! Der Spielball bzw. der Ziegenkörper ist nun bereit und somit kann das rasante Schauspiel beginnen. Mit einem fokussierten Blick versuchen die Reiter das Tier an sich zu reissen. Doch das ist gar nicht so einfach. Ein Gegenspieler stellt sich mitsamt Pferd in den Weg und deckt die Ziege ab. Nun ist Manövrieren angesagt und gewisse Pferde werden extra nur dafür trainiert, die Ziege zu verteidigen und machen das ziemlich konsequent. Aber auch die Angreifer gehen recht rabiat mit ihren Pferden gegen die Gegner vor. Irgendwann schafft es ein Spieler, die Ziege vom Boden aufzuheben, natürlich ohne dabei abzusteigen. Dann geht das Gezerre und Geschubse um die Ziege erst richtig los und man sieht als Zuschauer gar nicht mehr was eigentlich los ist. Doch plötzlich kommt wieder Schwung ins Spiel und einer der Reiter kann mit der Ziege losstürmen und versucht, die Ziege in das gegnerische Tor zu befördern, eine Art Betonring auf dem Grasplatz oder in unserem Fall eine leichte Vertiefung im Gras. Wir erfahren, dass professionelle Pferde darauf trainiert werden, automatisch loszurennen, sobald sie das zusätzliche Gewicht der Ziege spüren.

Dann ist eine Pause angesagt und die Anstrengung steht den Spielern ins Gesicht geschrieben. Doch sie sind auch sehr stolz ihren Nationalsport ausüben zu dürfen und haben sichtlich Freude daran. Natürlich ist das ganze reine Männersache und als ich mich nach weiblichen Spielerinnen erkundige, erhalte ich nur einen verständnislosen Blick als Antwort und die Idee, dass ich ja mal die Ziege hochhalten könne. Dario traut sich und hebt die immer noch blutverschmierte Leiche hoch und die wiegt dann doch ziemlich viel mit um die 30 kg. Diese nun im Galopp aufs Pferd zu hieven und sie oben zu halten, benötigt einiges an Koordination und Kraft.

Das spektakuläre Schauspiel beginnt
Das spektakuläre Schauspiel beginnt
Gemäss einer Legende wurde das Spiel durch Wölfe inspiriert, die ihren Jungen das Jagen beibrachten
Gemäss einer Legende wurde das Spiel durch Wölfe inspiriert, die ihren Jungen das Jagen beibrachten
Kok Boru wird übrigens auch in anderen zentralasiatischen Ländern gespielt
Kok Boru wird übrigens auch in anderen zentralasiatischen Ländern gespielt

Sowie die Inder ihre Cricket-Spieler verehren, die Australier ihre Rugby-Spieler, die Italiener ihre Fussballer, so verehren die Kirgisen…na, was wohl? Ihre Kok Boru-Spieler und vor allem auch deren Pferde. Besonders Achilles, das stärkste Pferd Kirgistans. Ehrfürchtig erzählen uns die Spieler von ihm. Der kleine Junge neben mir verkündet stolz, dass er später auch mal beim Kok Boru mitspielen möchte.

Nach drei Runden mit je 20 Minuten Spielzeit ertönt der Schlusspfiff und die Spieler kommen erschöpft zusammen. Für alle gibt es eine Cola zur Erfrischung und die Siegermannschaft darf die Ziege mitnehmen, eine grosse Ehre. Das Fleisch soll ja nun besonders zart schmecken, da es ordentlich durchgeschüttelt wurde. Für uns war es ein Einblick in eine der ungewöhnlichsten Sportarten weltweit und wir sind dankbar, durften wir dabei sein.

Ein professioneller Spieler kann bei einer guten Saison um die USD 3000.- verdienen
Ein professioneller Spieler kann bei einer guten Saison um die USD 3000.- verdienen

Vom Radreiseglück und der Freude am Leiden

Nach drei sonnigen Tagen ändert sich das Wetter und es ist Zeit für uns aufzubrechen. Wir möchten über den Kizart Pass und via Kazarman in den Südwesten Kirgistans fahren. Doch den Pass zu finden stellt sich als gar nicht so leicht heraus und die App Komoot führt uns zuerst ins Nirgendwo. Wir fragen bei einer Jurte nach und werden auf den richtigen Weg verwiesen. Sobald wir die Passhöhe erreichen, verdunkelt sich der Himmel und es beginnt zu regnen. Wir sehen keinen Menschen und nur sehr wenige Häuser hier, Natur pur. Der erste Ort, den wir nach sechs Tagen zu Gesicht bekommen hat nur wieder die übliche karge Auswahl in den Supermärkten: Dreiviertel vom Sortiment besteht aus trockenen Keksen und Bonbons, frische Produkte sind Fehlanzeige.

Der erste Ort mit etwas Infrastruktur und dafür ohne Charme ist Chaek. Von hier aus entscheiden wir uns in den Süden abzubiegen und landen unverhofft auf einer neu gebauten Hauptstrasse, welche zukünftig die Hauptstadt Bishkek mit Osch verbinden soll. Nur ist ein Tunnel noch nicht fertiggestellt und daher haben wir diese perfekt asphaltierte Strasse ganz für uns alleine. Der Weg führt durch ein Flusstal und entlang roter Felsen. Es ist pures Radreiseglück und wir erfassen uns erneut beim Gedanken, dass es in Kirgistan einfach überall schön ist, immer anders und immer fantastisch. Wir finden einen tollen Zeltplatz direkt am Fluss und haben sogar einen Privatpool. So sieht Radreiseglück aus.

Diese eindrücklichen Landschaften haben wir fast für uns alleine
Diese eindrücklichen Landschaften haben wir fast für uns alleine
Zeltplatz mit Pool am Fluss
Zeltplatz mit Pool am Fluss

Weniger glücklich sehen die hartgesottenen und vielleicht auch etwas verbissenen TeilnehmerInnen vom Silk Road Mountain Race aus, denen wir im Restaurant in Kazarman begegnen. Seit 2018 wird dieser Radmarathon in Kirgistan ausgetragen und es soll eines der härtesten Radrennen der Welt sein. Zwischen Osch und Bischkek werden in wenigen Tagen 1'900 km und 34'500 Höhenmeter hauptsächlich entlang von miesen Schotterstrassen überwunden. Dabei sind die TeilnehmerInnen ganz auf sich alleine gestellt und auch die gegenseitige Hilfe ist untersagt. Wir fahren durch die gleichen Landschaften und doch erleben wir sie völlig anders. Denn möchte man das Rennen gewinnen, muss man auf Schlaf und vollwertige Mahlzeiten verzichten können. Eine erschöpfte Teilnehmerin erklärte uns, dass sie sich nur von Snickers ernährte und nun das Rennen abgebrochen hat. Um sich an so einem Ultra Race zu erfreuen, muss man schon ziemliche Freude am Leiden empfinden und trotzdem ist es für einige nicht die erste Teilnahme an diesem Rennen. Dafür muss man sehr viel Ehrgeiz haben. Wir haben höchsten Respekt vor der Leistung, doch können die Faszination dafür nicht ganz nachvollziehen. Während die Teilnehmenden nach ihrer kurzen Pause im Restaurant im Dunkeln aufbrechen um weitere 100 von Kilometern zu radeln, legen wir uns schlafen und sind froh, dass wir beide wohl nie an so einem Rennen teilnehmen möchten.

Sofiane Sehili hat das Silk Road Mountain Race 22 in nur 7 Tagen gewonnen
Sofiane Sehili hat das Silk Road Mountain Race 22 in nur 7 Tagen gewonnen

Gebanntes Warten in Osch

Von Kazarman führt die Strasse über einen weiteren Pass in die tiefer gelegenen Ebenen des Landes. Die Landschaft ändert sich, es wird heisser, trockener und auch etwas konservativer. Vermehrt sehen wir Frauen mit Kopftüchern auf den Strassen. Besonders die jüngeren Frauen tragen diese sehr streng und teilweise sogar einen Gesichtsschleier, bei dem man nur die Augen hervorblitzen sieht. Anscheinend eine neue Erscheinung.

Wir hatten in den letzten Wochen fast völlig vergessen, dass wir uns in einem muslimischen Land befinden. In der Natur hört man den Muezzin nicht zum Gebet rufen und die Einheimischen scheinen alle dem Vodka gegenüber nicht abgeneigt zu sein. Allgemein haben wir das Gefühl eine Grenze überquert zu haben als wir den Südwesten Kirgistans erreichen, da hier viele Usbeken leben und viele alte Männer bereits die traditionellen usbekischen Hüte tragen.

Wir verlassen die Berge und erreichen Asphalt und Hitze
Wir verlassen die Berge und erreichen Asphalt und Hitze
Im Südwesten des Landes merken wir klar die usbekischen Einflüsse
Im Südwesten des Landes merken wir klar die usbekischen Einflüsse
Ankunft in Osch, unserer ersten richtigen Stadt in Kirgistan
Ankunft in Osch, unserer ersten richtigen Stadt in Kirgistan

Wir erreichen Osch (ca. 250'000 Einwohner), die zweitgrösste Stadt des Landes. Sie ist eine der ältesten Städte Zentralasiens und war ein wichtiger Handelspunkt entlang der Grossen Seidenstrasse, die im Mittelalter die Handelswege zwischen Ost und West verband. Doch von dieser Geschichte ist in der Stadt leider nichts mehr übrig. Trotzdem ist Osch immer noch ein administratives und kulturelles Zentrum der Region und liegt nahe der usbekischen und tadschikischen Grenze.

Die wichtigste Sehenswürdigkeit ist der heilige Berg Suleiman-Too, der von der flachen Stadt aufragt. Der Berg ist seit Jahrhunderten ein muslimisches Pilgerziel, da der Prophet Mohammed hier gebetet haben soll. Auf dem Suleiman-Too befinden sich einige besondere Steine und Höhlen, welche verschiedene Beschwerden der Pilger heilen sollen. Junge Frauen mit Kinderwunsch rutschen eine inzwischen spiegelglatte Rinne in der Hoffnung auf reichlich Nachwuchs hinab. Der Volksglaube wird aber nicht mehr allzu ernst genommen und auch kleine Kinder setzen sich hinein und haben Spass an der kurzen Rutschpartie. Aberglaube hin, Religion her, der Ausblick auf die Stadt lohnt alleine schon den Aufstieg und wir blicken hoffnungsvoll in Richtung Horizont, irgendwo dort befinden sich die hohen Berge Tadschikistans.

Blick vom Suleiman-Too auf Osch
Blick vom Suleiman-Too auf Osch

Dort in Tadschikistan befindet sich der Pamir Highway, ein Sehnsuchtsziel vieler Überlandreisender. Wird eine Reise dorthin möglich sein? Die kirgisisch-tadschikische Grenze südlich von Osch bei Sary-Tash war die letzten zwei Jahre pandemiebedingt geschlossen, was eine Rundreise entlang dem Pamir von Duschanbe nach Osch verunmöglichte. Alle Radreisenden, welche den Pamir dieses Jahr fahren möchten, müssen von Kirgistan einen grossen Umweg via das Fergana Tal nach Duschanbe in Kauf nehmen. Wir haben uns dies auch überlegt, doch eigentlich haben wir den Pamir bereits abgeschrieben, da es solange unmöglich schien. Doch nun häufen sich die Gerüchte, dass die Grenze bei Sary-Tash aufgehen soll und man dafür als Tourist eine Sondergenehmigung beantragen kann. Sollten wir also unverhofft zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein? Wir wagen wieder zu hoffen. Wir beginnen mit dem zentralasiatischen Spiessroutenlauf und sprechen mit zahlreichen Ämtern, erkunden uns bei der Botschaft und beantragen die Sondergenehmigung beim kirgisischen Tourismusamt. Wir müssen uns auf eine mindestens 10-tägige Wartezeit einstellen und das ist es uns wert und wir beginnen zu hoffen.

Zum Glück ist Osch solch eine angenehme Stadt, in der es sich gut aushalten lässt. In unserem Guesthouse Lovely Home for You werden wir jeden Morgen mit Früchten aus dem Garten und mit frisch gebackenem Brot verwöhnt. Die Besitzer kommen aus Usbekistan und das ganze Viertel ist in usbekischer Hand. Wir übernachten mitten in einem Wohnquartier und uns fallen die vielen Innenhöfe hinter den grossen Eisentoren auf und die teils kunstvoll verzierten Holzdecken, die wir so in Kirgistan noch nicht gesehen haben.

Eine Brücke über den Fluss führt uns in einen grossen Park mit zahlreichen Fahrgeschäften für die Kleinsten. Am Ende vom Park erreicht man den grossen Jayma Bazaar, der sich auf beide Seiten vom Fluss erstreckt. Emsiges Treiben herrscht hier Ende August, denn bald fängt die Schule an und überall werden Schuluniformen verkauft und auch die Schneiderateliers haben alle Hände voll zu tun, lassen sich doch viele Familien die Schuluniformen schneidern. Ganz normaler Alltag hier.

Mittendrin finden sich zahlreiche einfache Esskantinen, die von den Einheimischen rege besucht werden und wir schlagen zu bei den mit Kürbis gefüllten Teigtaschen. Doch es gibt auch zahlreiche edlere Restaurants mit einem grösseren Essensangebot und sogar ein beliebtes Café (Brio), in dem man richtigen Kaffee und Croissants erhält. Wohl das einzige Café, das solch einen Namen verdient zwischen Bischkek und Taschkent und entsprechend ist es ein Magnet für alle, die etwas länger in Zentralasien unterwegs sind

Wir geniessen mal wieder koreanisches Essen
Wir geniessen mal wieder koreanisches Essen
Abwarten in Osch, es könnte schlimmer sein
Abwarten in Osch, es könnte schlimmer sein

Wir fühlen uns sehr wohl in Osch, doch nach ein paar Tagen Stadt sind wir auch neugierig auf die Umgebung und beschliessen zwei sehr unterschiedliche Ausflüge zu unternehmen: Ins Ferganatal nach Usbekistan auf den Spuren der Seide und zum Peak Lenin Base Camp auf den Spuren der Yaks. Doch dazu mehr im nächsten Reisebericht.

Vorschau auf den nächsten Reisebericht
Vorschau auf den nächsten Reisebericht

2 Antworten zu “In den Bergen Kirgistans: Pferde und Jurten soweit man blickt (51)”

  1. Da kam mir doch vieles sehr bekannt vor. Auf dem Suleiman Too in Osch waren wir natürlich. Die von Euch erwähnte Rutsche habe ich auch probiert. Und was sage ich Euch: am nächsten Tag war ich schwanger… 🙂 Ich nenne es Lisario… 😉
    Weiterhin viel Spass in Indien.
    Liebe Grüsse aus Fehraltorf Erwin

    • Lieber Erwin,
      Mit diesem wundervollen Namen stehen dem Kind sicher alle Türen offen:) Wir waren etwas überrascht wie kurz die Rutsche auf dem Suleiman Too war, aber sie hatte einen regen Zulauf vom Kind bis zur Oma. Liebe Grüsse aus Rajasthan, Lisa & Dario.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert