29.10.2022

Kasachstan: Hitzewelle und eindrückliche Felsformationen (49)

Zentralasien Teil 1:  Von Almaty an die kirgisische Grenze

Nach einem Monat in Tbilisi sollte für uns Mitte Juli das nächste Kapitel unserer Reise weitergehen, doch wir bekamen nach fast zwei Jahren auf Reise doch auch noch das Corona-Virus und mussten daher unseren Flug um 10 Tage verschieben. War das bereits ein Omen für alles was die nächsten Monate schieflaufen würde? Wer weiss. Jedenfalls ging es nach unserer Genesung dann endlich weiter und zwar in die Region der vergorenen Stutenmilch, der kreativen Kopfbedeckungen, der hervorblitzenden Goldzähne und des kratzigen Toilettenpapiers. Ihr habt es sicher erraten, wir reisen nach Zentralasien. Da eine Überlandreise nach Zentralasien wegen geschlossener Grenzen in Aserbaidschan und Turkmenistan unmöglich ist, bedeutet das für uns, dass wir leider erneut fliegen müssen. Wir entscheiden uns für den Direktflug nach Almaty in Kasachstan und möchten von dort aus weiter durch Kirgistan nach Usbekistan reisen. Der Pamir Highway in Tadschikistan ist zwar immer noch im Hinterkopf, doch aktuell sieht es eher so aus, als würde das nicht möglich sein. Daher möchten wir uns erstmals viel Zeit für Kirgistan nehmen.

Im Vergleich zu früher lassen sich die Länder Zentralasiens heute viel einfacher bereisen und ausser für Turkmenistan, so etwas wie das schwarze Schaf der Stans, werden auch keine Visa mehr benötigt. Somit steht der Erkundung dieser Gegend voller Herzlichkeit und unberührter Naturlandschaften eigentlich nicht viel im Wege und immer mehr Individualreisende entdecken die einsamen Wanderwege Kirgistans, die atemberaubenden Berge in Tadschikistan und die türkisfarbenen Kuppeln in den Städten Usbekistans.

Doch besonders Kasachstan, das neuntgrösste Land der Welt, ist für viele noch ein weisser Flecken auf der Karte, abgesehen von dem was durch den Film Borat vom Komiker Sascha Baron Cohen fälschlicherweise in die Welt hinausgetragen wurde. Das erdöl- und rohrstoffreiche Land ist riesig und hat wie so oft in Zentralasien so einiges an Skurrilität zu bieten wie unterirdische Moscheen, eine hypermoderne neue Hauptstadt mit Glitzerfassaden, rostende Sowjetschiffe am schwindenden Aral-See oder nukleare Testgelände. Kasachstan ist mit seinen rund 18 Millionen Einwohner etwas so gross wie Westeuropa (!) und besteht mehrheitlich aus endlosen Steppen sowie Wüste und Gebirgslandschaften. Es ist ein Land voller Widersprüche, man findet teure Markenartikel in den Städten und in den Dörfern wird das Wasser noch aus dem Gemeinschaftsbrunnen geholt. Wir beschränken uns nur auf eine kleine Ecke des Landes und besuchen den Südosten des Landes, der auf kleiner Fläche vielseitige Landschaften zu bieten hat mit singenden Sanddünen und abgelegenen Bergseen.

Da waren wir leider nicht: Altyn-Emel Nationalpark & Kolsai Lakes
Da waren wir leider nicht: Altyn-Emel Nationalpark & Kolsai Lakes

Quiz-Frage: Wie heisst die Hauptstadt Kasachstans?

Die Stadt Almaty (knapp 2 Millionen Einwohner) ist das kulturelle Zentrum des Landes und befindet sich an einer idealen Lage mit angenehmen Temperaturen und umgeben von schönen Naturlandschaften. Jedoch beschloss man 1997 den Regierungssitz in das kalte, windgepeitschte Aqmola in der baumlosen asiatischen Steppe zu verlegen. Bald darauf wurde die Stadt in Astana – das kasachische Wort für Hauptstadt – umbenannt und danach in Nur-Sultan, nach dem autoritär regierenden Staatspräsidenten Nursultan Nasarbajew. Der wurde nun aber im Januar 22 von wütenden Demonstranten mit den Worten «Alter Mann, geh weg!» gestürzt und nun heisst die Hauptstadt wieder Astana. Alles ganz simpel, oder?

Astana (auch dieses Bild ist natürlich nicht von uns)
Astana (auch dieses Bild ist natürlich nicht von uns)

Erste Eindrücke von Zentralasien im kosmopolitischen Almaty

Wir landen jedenfalls nicht in Astana, sondern 1000 km weiter südlich in Almaty, einer der kosmopolitischsten und angenehmsten Städte Zentralasiens. Der Kulturschock hält sich somit noch sehr in Grenzen und wir treffen wie auch schon im Kaukasus auf das "Standard-Set" vieler postsowjetischer Staaten: Breite Strassen, riesige Plätze mit protzigen Repräsentationsgebäuden und viel Platz für Militärparaden, Statuen (zu 99% von Männern), grosszügig angelegte Grünflächen mit Vergnügungsparks für die Kinder und natürlich darf auch ein Hügel mit Riesenrad nicht fehlen.

Platz der Republik: An Platz mangelt es jeweils nicht in den postsowjetischen Städten
Platz der Republik: An Platz mangelt es jeweils nicht in den postsowjetischen Städten
Der Palast der Republik wird für kulturelle Aufführungen genutzt
Der Palast der Republik wird für kulturelle Aufführungen genutzt
Beatles Monument auf dem Hügel Kök Töbe
Beatles Monument auf dem Hügel Kök Töbe

Wir fühlen uns nach dem Kaukasus also ganz heimisch, nur einige Dinge sind dann doch überraschend: die grosse Dichte an eleganten und teuren Restaurants. Wohl nirgends in Zentralasien lässt es sich so vorzüglich speisen wie in Almaty und es gibt auch eine Vielzahl internationaler Restaurants und wir entdecken hier die koreanische Küche und beschliessen nach den ersten paar Happen, dass wir wohl Südkorea auch noch in unsere Reise miteinbauen müssen. Doch noch viel erstaunter sind wir, dass die Restaurants gut besucht sind und zwar von den Einheimischen und nicht von den wenigen Touristen.

Ja und wer sind nun überhaupt diese Einheimischen Kasachstans? Neben den Kasachen leben auch viele Russen (fast 20%) in Kasachstan, gefolgt von Usbeken, Uiguren, Ukrainer, Tataren, Deutschen, Türken, Polen Koreaner und Aserbaidschaner. Ein Grund für diese Mischung ist die von Stalin veranlasste Deportation ganzer Bevölkerungsgruppen nach Sibirien und Kasachstan, durch die tausende Menschen umkamen. Ein weiteres Kapitel der Weltgeschichte, über das wir in unserem Geschichtsunterricht nie etwas erfahren haben. Manchmal denken wir es gibt so viel zu wissen und zu lernen, dass eine Lebenszeit dafür niemals ausreicht.

Doch zurück zum aktuelleren Zeitgeschehen, denn von den gewaltsamen Protesten im Januar in Kasachstan zeugen noch so einige verbrannte Gebäude in Almaty. Eine neue Regierung wurde eingesetzt, die einen Balanceakt versucht zwischen wirtschaftlichen Beziehungen zu China, Russland und Europa, der Kasachstan bisher gut zu gelingen scheint. Ganz bemerkenswert war auch, dass der neue kasachische Präsident Tokajew im Beisein von Putin klar signalisierte, dass er nicht nach dessen Pfeife tanzen möchte, ein Novum in den zentralasiatischen Staaten. Viele Kasachen berufen sich vermehrt auf ihr kulturelles Erbe und Kasachisch-Kurse geniessen einen regen Zulauf und es wird neuerdings wieder vermehrt Kasachisch anstelle von Russisch gesprochen.

Von solchen Restaurants werden wir bald nur noch träumen
Von solchen Restaurants werden wir bald nur noch träumen
Müesli zum Frühstück bevor es die nächsten Wochen dann nur noch altes Brot gibt
Müesli zum Frühstück bevor es die nächsten Wochen dann nur noch altes Brot gibt

Auf uns wirkt Almaty sehr aufgeräumt und die elegant gekleideten Bewohner offen und freundlich. Es ist ein angenehmes Ankommen in Zentralasien, wenn auch nicht besonders aufregend. Bei einer sommerlichen Hitzewelle erkunden wir zwei Tage lang die Stadt, besuchen die berühmteste Kathedrale des Landes, das Museum für Musikinstrumente und nehmen die Seilbahn auf den Kök Töbe, den Hügel mit dem Riesenrad. Von hier aus hat man eine gute Sicht über die grüne Stadt und die umliegenden Berge. Ganz spontan entschieden wir uns auch für eine rasante Fahrt auf einer klapprigen Rodelbahn.

Der Panfilov Park mit der Zenkov-Kathedrale (1904) ist der angenehmste Ort der Stadt
Der Panfilov Park mit der Zenkov-Kathedrale (1904) ist der angenehmste Ort der Stadt

Etwas Zentralasien-Feeling kommt am Green Market auf mit seiner grossen Abteilung für Pferdefleisch, aber auch hier ist alles aufgeräumter und geordneter als gedacht. Ganz begeistert sind wir von der grossen Auswahl an frischen, gesunden koreanischen Salaten und das erste Mal in zwei Jahren können wir wiedermal Tofu probieren. Wenn es doch nur so weitergehen würde in Zentralasien, doch wir wissen, dass Almaty definitiv eine Ausnahme ist. Wir geniessen also nochmals all die tollen Essensangebote, kaufen ordentlich Proviant ein und dann geht es los in Richtung Kirgistan bei angenehmen 40° Grad.

Der zweistöckige Green Market wirkt sehr aufgeräumt
Der zweistöckige Green Market wirkt sehr aufgeräumt

Auf Radreise bei 40° Grad durch den Südosten Kasachstans

Es ist unerträglich heiss und wir sind froh, führt unsere Route zuerst entlang einer landwirtschaftlich genutzten Ebene und kommen wir immer wieder an Bächen und Flüssen vorbei. Wir nutzen jede Gelegenheit für eine Abkühlung und sind dabei nicht alleine. In einem eiskalten Pool an einem Bach tummeln sich die Einheimischen und ein paar Mädchen bekommen sogar Schwimmunterricht. Noch nie haben wir so oft an einem Tag gebadet wie in diesen Tagen in Kasachstan und wir sind froh, können wir jede Nacht an einem Gewässer unser Zelt aufstellen. Zwischen Almaty und unserem nächsten Ziel Karakol in Kirgistan gibt es nur sehr wenige Städte und Einkaufsmöglichkeiten und einmal nehmen wir sogar einen Umweg von 20 km in Kauf, nur um wiedermal einkaufen zu gehen. Uns erwarten viel einsame Strecken in Kasachstan und wir treffen keine ausländischen Touristen. Die Begegnungen mit den Einheimischen sind überaus positiv und wir treffen auf die unterschiedlichsten Menschen. Vom Bauer, der uns um 09.30 ein kaltes Bier schenkt bis zur muslimischen Frau mit Kopftuch die gerade vom Windsurfen in Kirgistan kommt. Vorurteile über Bord zu werfen geht auf dieser Reise sowieso ungemein leicht.

Leider beginnt unsere zentralasiatische Unglücksträhne ziemlich schnell nach unserer Abreise aus Almaty. Zuerst versenke ich meine geliebte Sonnenbrille in einem strömenden Bach und kurz darauf geht unsere Sony-Kamera definitiv kaputt, die wir in Teheran repariert haben. Natürlich muss das genau mitten in der Pampa geschehen. In Tbilisi hätten wir so viel Zeit gehabt, die Kamera zu reparieren oder einen Ersatz zu bestellen. Aber jetzt haben wir 2-3 Monate Naturlandschaften und Radreise vor uns und kommen länger nicht mehr in eine grössere Stadt. Der Gedanke all die schönen Berglandschaften nicht mit der Kamera festzuhalten schmerzt schon etwas, doch das gehört zum Reisen dazu.

Wurden wir in der Vergangenheit von solchen Dingen überraschenderweise verschont, sollte nun in Zentralasien nun einiges nicht nach Plan laufen und das war erst der Anfang. Wie so oft auf dieser Reise haben wir immer auch etwas Glück im «Unglück» (in Anführungszeichen, da unser Unglück ja mehrheitlich bisher mühsam war und kein wirkliches Unglück und wir nur ab und an auf sehr hohem Niveau motzen müssen). Unser Glück diesmal ist, dass Lukas von Sense of Travel gerade mit einer Reisegruppe in Kirgistan unterwegs ist und wir uns treffen und er uns einige Dinge aus der Schweiz mitbringen kann. Wir entschieden schnell eine neue Kamera zu bestellen, nur ist das nicht gerade einfach, denn wir haben nicht überall Internet-Empfang und somit braucht das ganze ziemliche Nerven. Irgendwann ist es geschafft und wir können uns wieder auf die unglaubliche Natur um uns konzentrieren.

Zerklüftete Felslandschaften im Charyn Canyon

Unser absoluter Höhepunkt in Kasachstan ist der Charyn Canyon, der auch als «kasachischer Grand Canyon» bezeichnet wird. Die Geschichte des Canyons reicht 12 Millionen Jahre zurück, als der Fluss langsam eine Schlucht in den Fels erodierte. Die ältesten Schichten am Grund der Schlucht bestehen aus vulkanischem Lavagestein und im Laufe der Jahre haben die Witterungsbedingungen dafür gesorgt, dass sich aus den verschiedenen Gesteinsschichten bizarre Felsformationen gebildet haben. Die Schlucht ist 154 Kilometer lang und windet sich durch die nördliche Bergkette des Tien Shan und erreicht an manchen Stellen eine Tiefe von bis zu 300 Metern. Der beeindruckendste Abschnitt wird auch «Valley of the Castles» genannt, hier haben sich auf einer Länge von ca. 2 km im Laufe der Zeit spektakuläre Felsskulpturen gebildet.

Mit dem Rad durch das "Valley of the Castles"
Mit dem Rad durch das "Valley of the Castles"
Wie gerne hätten wir hier unsere gute Kamera dabei
Wie gerne hätten wir hier unsere gute Kamera dabei

Mit dem Rad geht es für uns einen steilen Pfad herunter, den wir später natürlich auch wieder hochfahren müssen. Um die Anstrengung noch etwas hinauszögern, bleiben wir gleich zwei Nächte im Canyon und zelten direkt am Fluss. Wir haben einen privaten Schattenplatz für uns, es gibt Trinkwasser und Toiletten-Häuschen und somit haben wir alles, um uns selbst zu versorgen. Es ist unerträglich heiss und wir verbringen unseren Pausentag mit kurzen Sprüngen in den eiskalten und reissenden Fluss. Früh morgens und abends unternehmen wir Spaziergänge durch die Schlucht, die dann in den schönsten Rottönen schimmert. Es sieht tatsächlich aus wie im Südwesten der USA, einer Gegend, die ich schon immer mal besuchen wollte. Wir sind tief beeindruckt von dieser Canyonlandschaft in Kasachstan, die bei ausländischen Besuchern noch weitgehend unbekannt zu sein scheint.

Traumhafter Zeltplatz für 2 Nächte
Traumhafter Zeltplatz für 2 Nächte

Keine 25 km vom «Valley of the Castles» entfernt treffen wir ein zweites Mal auf den Charyn River. Auch wenn es erst kurz nach Mittag ist, beschliessen wir, den Nachmittag am Fluss zu verbringen und hier zu campen. Eine nette kasachische Familie gesellt sich zu uns, sie sind alle mit dem Camper unterwegs und haben viel zu viel Essen mitgenommen, das sie grosszügig mit uns teilen. Allgemein stellt sich die schlechte Versorgungslage in dieser Gegend als überhaupt nicht schlimm heraus, denn wir bekommen dauernd etwas geschenkt.

Weiter oben am Charyn River gefällt es uns auch sehr gut
Weiter oben am Charyn River gefällt es uns auch sehr gut

Das unbekannte Kasachstan hat uns total positiv überrascht und auch hier wären wir gerne länger geblieben und hätten uns noch die Sanddünen im Altin Emel Nationalpark und die schönen Bergseen angeschaut. Doch wir haben eine Verabredung in Karakol und daher drängt die Zeit etwas und wir machen uns auf an die Grenze bei Kegen. Je näher wir Kirgistan kommen, umso mehr ändert sich auch die Landschaft. Aus der trockenen Canyonlandschaft wird eine grüne Steppe, die von Flüssen durchzogen ist. Der Grenzübergang in dieser abgelegenen Ecke ist nur während den Sommermonaten geöffnet und hat tatsächlich auch Öffnungszeiten, nach 18.00 Uhr gibt es kein Durchkommen mehr.

Wir reihen uns ein in eine längere Autokolonne, werden jedoch nach vorne gerufen und können relativ schnell die Grenze passieren ohne wirkliche Gepäckkontrolle. Und somit stehen wir nun da auf einer schlechten Stresse irgendwo in der Pampa und blicken auf Pferdeherden und Jurten. Wir sind in Kirgistan, unserem 17-ten Land der Reise und das exakt zwei Jahre nachdem wir unsere Heimstadt Baden verlassen haben. Wir sind aufgeregt und voller Vorfreude und was wir alles so in Kirgistan erleben, erfährt ihr im nächsten Reisebericht.

Kurz vor der kirgisischen Grenze wird Kumys angeboten (vergorene Stutenmilch)
Kurz vor der kirgisischen Grenze wird Kumys angeboten (vergorene Stutenmilch)
Nach dem Charyn Canyon ändert sich die Landschaft komplett
Nach dem Charyn Canyon ändert sich die Landschaft komplett
Beim Grenzübergang nach Kirgistan
Beim Grenzübergang nach Kirgistan

2 Antworten zu “Kasachstan: Hitzewelle und eindrückliche Felsformationen (49)”

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