Indien Teil 7: Unterwegs als Backpacker in Himachal Pradesh & Ladakh
Ladakh: Wie wir das Reiseglück im Himalaya wiederfanden (61)
Nach der ersten Woche in Indien, in der alle unsere Pläne über den Haufen geworfen wurden und wir uns nach dem Sinn dieser Reise fragten, sind wir nun in die Berge geflüchtet. Wir befinden uns im abgelegenen Tirthan Valley am Ende des Tales beim Dorf Gushaini. Das Tal ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar und hat etwas touristische Infrastruktur, nur ohne viele Touristen. Eine gute Kombi, wie wir finden. Doch schnell lernen wir, dass der Mangel an indischen Touristen ganz klar mit den extremen Überschwemmungen und Erdrutschen während des Monsuns diesen Sommer zusammenhängt. Ganze Dörfer wurden davongespült und noch immer sind gewisse Strassen unzugänglich. Viele Unterkünfte im Tal stehen leer und Cafés und Restaurants bleiben geschlossen. Ein trostloses Bild in dieser Bilderbuchlandschaft. Die wenigen Einheimischen, denen wir auf den Strassen begegnen sind ganz überrascht, dass wir überhaupt hier sind, denn ausländische Touristen verirren sich nur selten an diesen Flecken.
Wir wohnen im lauschigen Raju Bharti’s Guesthouse beim Dorf Gushaini, das nur über eine Art Korb-Seilbahn erreichbar ist, eine besondere Anreise. Da es nur wenig Gäste hat, bekommen wir ein eigenes Cottage mit einem riesigen Balkon für uns alleine. Es ist so schön, dass man eigentlich gleich eine Woche bleiben möchte. Nachts hören wir das Rauschen des Flusses und es riecht überall nach Holz. Wir fühlen uns von Anfang an wohl. So wohl, dass wir am ersten Tag erst am Nachmittag langsam rausgehen. Zu einladend war unser Balkon und zu sehr brauchten wir Ruhe, um die ganzen Eindrücke der letzten Tage zu verarbeiten (siehe Reisebericht Nr. 59).
Wir wandern zum Chhoie Wasserfall, einem sehr idyllischen Wasserfall mitten im Grünen. Ausser uns ist nur noch eine Frau in traditioneller Kleidung unterwegs. Sie trägt auf ihrem Rücken einen grossen Korb und zerlegt Holz mit einer archaischen Machete. Ansonsten sind wir alleine in dieser noch fast unberührt wirkenden Natur und bei einem sauberen Fluss. Schwer, so einen Ort in Indien zu finden. Zurück im einzigen geöffneten Café, gönnen wir uns einen süssen Chai und beobachten das Alltagsleben, das plötzlich einiges zu bieten hat.
Zuerst erscheinen diverse Männer mit den traditionellen Kullu-Hüten und grossen Trommeln und dann kommt ein gebückter Mann dazu, der auf seinem Rücken die lokale Dorfgottheit zum Tempel spazieren trägt. Es ist heute ein besonderer Tag, denn diese Prozedur findet nur einmal jährlich statt. Auf dem Weg zum Tempel werden die Einheimischen gesegnet und der Gottheit Rupienscheine zugesteckt. Und dann drehen wir uns um und auf uns kommt ein wandelnder Vorhang zu, unter dem irgendwo ein Mann versteckt ist. Wir müssen lachen, zu skurril die ganze Situation. Ich recherchiere bei google mal schnell nach den lokalen Gottheiten und werde fündig, dies muss doch fast der Shringi Rishi sein, doch der Mann vom Café klärt mich schnell auf, dass es sich um eine andere und sehr regionale Gottheit handelt und sicher nicht um den Rishi (Seher, Guru), der 30 km weiter verehrt wird. Das ist wiedermal typisch Indien. Manchmal ist es einfach herrlich hier zu sein.
Wanderung zum Eingang des Great Himalaya Nationalparks
Am nächsten Morgen zeigt sich Indien mal wieder von seiner mühsamen Seite. Die beliebteste und auch einfache Wanderung im Tirthan Valley führt zum Eingang des Great Himalaya Nationalparks, der nur mit einer Genehmigung betreten werden darf. Der Wanderweg ist leicht zu finden und sicher zu begehen. Doch neuerdings benötigt man dafür einen Reiseleiter, da vor wenigen Monaten eine Frau tödlich verunfallte. Nun traben wir also einem lokalen Guide hinterher, obwohl es wirklich nur diesen einen Weg gibt und es sehr schwer wäre, sich zu verlaufen. Aber in Indien gibt es so oft solche nicht nachvollziehbaren Regeln und die Frage nach dem «Warum» führt nie zu einer befriedigenden Antwort. Es ist wie es ist, wiedermal. Langsam hört sich das für uns schon wie ein sich ständig wiederholendes Mantra unserer Reise an: Es ist wie es ist. Nur manchmal so schwer zu akzeptieren dieses «ist».
Nach dem kleinen Dorf Ropa gibt es nur noch Wildnis und es begegnen uns nur wenige Menschen. Als wir schliesslich den Eingang zum Nationalpark erreichen, möchten wir am liebsten gleich weiterwandern und ein paar Tage im Park zelten. Es wird so richtig wild und einsam und wir wissen, auf der andere Seite befindet sich das Spiti Valley, unser Sehnsuchtsziel, das wir ursprünglich mit unseren Rädern bereisen wollten.
Am Nachmittag kehren wir wieder zurück in unser gemütliches Cottage. Abends werden wir dann richtig verwöhnt mit indischer Hausmannskost mit Gemüse-Curries, Papadams, Reis, vegetarischen Momos und einer süssen Nachspeise. Zu gerne wären wir noch länger an diesem gemütlichen Ort geblieben, doch wir möchten noch etwas mehr von Himachal Pradesh sehen und entscheiden uns, am nächsten Morgen weiterzureisen in Richtung Manali.
Geduldsprobe auf dem Weg nach Manali
Wir setzen uns an den Strassenrand und warten auf den lokalen Bus, der uns bis nach Kullu und weiter nach Manali bringt. Für diese Strecke sollten wir eigentlich drei Stunden benötigen, aber es wird wiedermal eine Tagesreise. Wenn man mit den öffentlichen Verkehrsmitteln durch Indien reisen möchte, muss man sehr flexibel sein. Das liegt nicht nur daran, dass alle paar Meter jemand pfeift (so teilen die Passagiere dem Fahrer mit, dass sie aussteigen möchten), sondern auch an den vielen Erdrutschen, welche im Sommer während des Monsuns Himachal Pradesh heimgesucht haben.
Diese Monsunsaison war es besonders extrem und viele Strassenabschnitte wurden weggespült. Überall sehen wir Arbeiter, die mit ihren blossen Händen Steinkorbmauern als neue Fundamente für die Strasse hochziehen. Die Frauen und Männer hier leisten Schwerstarbeit und auch die Kinder helfen bereits mit, nur einmal sehen wir einen Bagger auf der Strecke. Aber ob diese Mauern einem zukünftigen Hochwasser wirklich standhalten werden, bezweifeln wir sehr. Der Verkehr wird bei den Umfahrungen von niemandem gelenkt und umgeleitet und somit blockieren sich alle Verkehrsteilnehmer ständig gegenseitig und nichts bewegt sich. Als Busfahrer in Indien braucht man Nerven aus Stahl. Die haben wir verwöhnten Backpacker nicht und bei jedem Stopp regen wir uns auf, dass es nicht vorwärts geht, statt einfach schön «shanti» zu bleiben. Wir sollten es doch eigentlich wissen nach so vielen Monaten in Indien.
Entspanntes Traveller-Leben in Vashisht & Old Manali
Am Nachmittag erreichen wir Manali, ein fixer Punkt auf dem ehemaligen Hippie-Trail aufgrund des berühmten Haschisch, das an den Hängen der Umgebung wächst und der schönen Berglandschaft. Noch heute zieht der Ort Hippies und Backpackers an, doch vermehrt auch indische Touristen auf Hochzeitsreise, die vorwiegend New Manali besuchen und dort abends auf der Mall (verkehrsbefreite Strasse) hin- und herschlendern und shoppen.
Wir gehen zuerst mal 3 km weiter ins Dorf Vashisht, bekannt für den anscheinend 4000-Jahre alten Vashisht-Tempel, die heissen Quellen und eine alternative Atmosphäre. Zum ersten Mal diesen September sehen wir eine Handvoll Touristen unterwegs in Indien, doch es ist immer noch sehr wenig los und man merkt klar die Auswirkungen des Monsuns, die vor allem viele einheimische Touristen davon abhalten, in die Berge zu reisen. So bleiben einige Läden und auch viele Cafés und Restaurants geschlossen und die Auswahl ist überschaubar. Es gibt einige German Bakeries, die wie immer in Indien von Nepalis betrieben werden, und einige einfache Lokale mit der üblichen Traveller-Kost mit einer Mischung aus indischer, israelischer und europäischer Küche. Nichts schmeckt besonders gut, nichts besonders schlecht.
Das Dorf Vashisht hat Flair mit seiner Mischung aus Traveller-Ort und normalem Dorfleben mit Kühen im Vorgarten und noch einigen schönen Holzhäusern, die neben gesichtslosen Neubauten stehen. An den vielen Wasserquellen werden Geschirr und Kleider gewaschen und auf dem Vorplatz vom Tempel findet abends der Sportunterricht für die Kleinsten statt. Momentan ist gerade die Zeit der Apfelernte und überall werden fleissig Äpfel sortiert und in grossen Körben oder mehreren Kisten rumgetragen. Es geht geschäftig zu und her, bereits am frühen Morgen.
Einige Langzeit-Reisende leben ebenfalls hier, teilweise seit Jahren. Sie scheinen nicht zu arbeiten und können auch fast kein Hindi. Der Gegensatz könnte fast nicht grösser sein: Hier die Dorfbewohner, die von früh bis später arbeiten und daneben die Langzeit-Reisenden, die in Cafés rumsitzen, Marihuana rauchen und über den Sinn des Lebens sinnieren. Natürlich ist das völlig in Ordnung und wir finden den Austausch mit solchen Reisenden immer sehr spannend, doch trotzdem drängt sich etwas die Frage auf, was die Einheimischen wohl von ihnen halten. Von Menschen die einfach auch hier sind, aber nicht am täglichen Alltagsleben teilnehmen und nicht arbeiten müssen, da sie von ihrem Ersparten, Erbe oder den Renten aus ihren Herkunftsländern leben. Für uns ist es unvorstellbar so lange an einem so kleinen Ort zu verweilen, ohne die lokale Sprache zu können und uns irgendwie miteinzubringen. Aber vielleicht urteilen wir hier auch zu schnell, kennen wir doch die Geschichten nicht, die dahinterstehen.
Wir wechseln nach Old Manali, das im alten Teil noch viele traditionelle Häuser hat und einige interessante Tempel. Doch insgesamt geht es hier eindeutig touristischer zu und her als in Vashisht und es hat viele Läden, die tibetischen Schmuck und die berühmten Wollschalls der Region Kullu anbieten und sich an indische und ausländische Gäste richten. Vor allem viele Israelis und Russen sind hier unterwegs. Nach dem ruhigen Tirthan Valley wollten wir nun wieder etwas mehr Auswahl geniessen und entscheiden für 3 Nächte zu bleiben. Wir schnappen uns für CHF 10.- pro Nacht eines der günstigsten Zimmer der bisherigen Reise mit einem grossen Balkon mit Bergsicht. Der ideale Ort, um unsere nächste Etappe zu planen, denn es bleiben uns immer noch zwei Wochen bis zur Weiterreise nach Nepal. Beim Blick auf den Regenradar wird schnell klar, in Manali und Umgebung zu bleiben ist keine Lösung, denn die nächsten Tage wird es durchregnen.
Spontane Planänderung
Wo also sollen wir hin für die verbleibende Zeit? Der Ort mit dem schönsten Wetter ist Leh, die Hauptstadt Ladakhs. Vor unseren Augen entstehen Bilder von einsamen Berglandschaften mit entlegenen buddhistischen Klöstern. Nach Ladakh wollte ich schon immer Mal und nun wären wir so nahe dran. Wir lassen uns einen Tag Zeit für die Entscheidung, doch es ist schnell klar, denn beim Gedanken an Ladakh sind wir beide voller Vorfreude und spüren eine angenehme Nervosität. Nun also noch einen Transfer organisieren, ein Hotel in Leh buchen und dann kann es losgehen. Wir können es eigentlich noch gar nicht so recht glauben, dass wir morgen bereits in Leh sein könnten.
Ju-leh Ladakh: Reise ins Land der hohen Pässe
Das geheimnisvolle Ladakh (Teil vom indischen Bundesstaat Jammu & Kaschmir) liegt eingebettet zwischen den imposanten Bergketten des Himalaya und Karakorum und ist die nördlichste und am wenigsten besiedelte Region Indiens. Bis in die 1970er-Jahre war Ladakh für Touristen verschlossen, seitdem hielten die hohen Pässe jeden fern, der nicht wirklich dringend dort zu tun hatte. Eine entlegene Gebirgsregion mit extremen Klima, wenig Niederschlag (100mm pro Jahr), schneebedeckten Gipfeln und einer kargen Berglandschaft mit wenig Vegetation. Das Land der Schneeleoparden, Yaks (und Yetis?). Und trotz den unwirtlichen Bedingungen haben sich hier Menschen angesiedelt und imposante buddhistische Klosteranlagen errichtet. Nirgendwo sonst auf der Welt lässt sich der lamaistische Buddhismus noch so lebendig erleben.
Ladakh hat insgesamt geschätzte 301'000 Einwohner, ist etwa so gross wie England und wird oft auch als «Mini-Tibet» bezeichnet, da die Region fast über ein Jahrtausend ein unabhängiges tibetisch-buddhistisches Königreich war. Lange war Ladakh zudem ein wichtiger Knotenpunkt entlang der alten Seidenstrasse zwischen China, Zentralasien und Indien und erlebte dadurch einen kulturellen und wirtschaftlichen Aufschwung. Es wurden getrocknete Aprikosen, Himalaya-Salz und natürlich die feine Pashmina-Wolle, eine der begehrtesten und teuersten Wollarten weltweit, gehandelt. Wir erkennen einige zentralasiatische Einflüsse u.a. in der Architektur, die uns mit ihren Holzsäulen und verzierten Decken an die traditionellen Pamiri-Häuser in Tadschikistan erinnert. Schon wieder ein Kreis der sich schliesst auf dieser Reise. Die Mehrheit der Ladakhis lebt auf dem Land als Selbstversorger oder verdient Geld mit den Touristen während der Saison, die hierherkommen, um die authentische tibetische Kultur zu erleben, die atemberaubenden Landschaften mit hohen Pässen und Bergseen zu sehen oder in einsamen Gegenden zu wandern.
Ankunft in einer anderen Welt
Die Anreise nach Ladakh führt entweder über einen spektakulären Flug ab Delhi nach Leh (3500 m.ü.M), über eine landschaftlich reizvolle Strasse von Kaschmir aus via Kargil oder über eine imposante Landschaft, einsame Hochplateaus und vier hohe Pässe von Manali aus per Bus oder Taxi. Wir nehmen ein Taxi für CHF 30.- pro Person für eine 14-stündige Fahrt. Leider erweist sich der gebuchte Jeep als normalen Pkw und es wird eine sehr, sehr holprige Fahrt, die erneut viel Nerven und Geduld kostet.
Zwischen Manali und Leh befindet sich eine der wohl schönsten Strassen der Welt, ein Sehnsuchtsziel für Motorradfahrer und einige hartgesottene Radreisende. Der Manali-Leh Highway (479 km) ist absolut spektakulär und nur im Sommer befahrbar. Die Reise führt über vier sehr hohe Pässe, der letzte davon ist mit über 5300m der höchste Pass unserer bisherigen Reise. Die Pässe dienen als Wetterscheide zwischen den feuchten und fruchtbaren Ebenen Indiens und dem trockenen Tibet und gleichzeitig ist es eine Trennung vom hinduistisch geprägten Kullutal und den höher gelegenen Tälern Spitis, Lahauls und Ladakhs, in denen sich durch die Abgeschiedenheit die ursprüngliche buddhistische Kultur erhalten hat.
Die Fahrt führt zuerst entlang von bewaldeten Hügeln nach Keylong, dem Hauptort von Lahaul. Hier finden sich noch wenige kleine Dörfer mit etwas Infrastruktur und einfachen Dhabas, in denen Nudelsuppen, Parathas und süsser Masala Chai serviert werden. Danach folgt über einige hundert Kilometer eine Strecke ohne jegliche Besiedlung auf über 4000 Metern entlang von gewaltigen Schluchten und einer kargen, hochalpine Ebene. Die steilen Bergmassive werden immer monumentaler und wir fühlen uns an den Pamir Highway erinnert. Was für eine epische Landschaft für eine Radreise! Sehnsüchtig blicken wir aus dem Taxifenster und wären gerade viel lieber mit unseren Drahteseln unterwegs, auch wenn wir wohl gerade nicht die Kondition dafür hätten nach der langen Radpause. Nach der Hochebene, windet sich die Strasse nochmals hoch auf den Taglang-La (5330 Meter), den höchsten Pass unserer Reise und einer der höchsten befahrbaren Pässe dieser Erde.
Nach einem sehr kurzen Halt in der dünnen Höhenluft geht es für uns nun runter nach Ladakh. Die ersten kleinen Dörfer mit ihren weissgetünchten Häusern, Stupas und tibetischen Gebetsfahnen tauchen auf wie eine Fata Morgana nach der menschenleeren Gegend; wir haben das mächtige Indus-Tal erreicht. Nun sind wir also in Ladakh, umgeben von drei der höchsten Bergketten der Welt und es scheint als hätten wir einen anderen Planeten betreten.
Ankunft in Leh, eine der angenehmsten Städte Indiens
Leh war schon immer ein wichtiger Handelsplatz entlang der alten Seidenstrasse und ist eine der höchstgelegene, ständig bewohnten Städte der Welt. Den strategischen Wert Lehs erkennt man heute vor allem an den ausgedehnten Militäranlagen rund um die Stadt. Die Stadt empfängt einem zuerst Mal mit Staub und viel Verkehr. Doch auch mit überraschend modernen Annehmlichkeiten. Leh bietet mit dem verlassenen Königspalast, der Altstadt, der verkehrsfreien Einkaufsstrasse, einigen Stupas & Tempeln und zahlreichen richtig guten Cafés und Restaurants genügend Abwechslung für einen längeren Aufenthalt und ist für uns bisher eine der angenehmsten Städte Indiens. Wo sonst gibt es Flat White mit Sojamilch und gutes Wi-Fi auf 3500 Metern? Wir denken kurz an Murghab in Tadschikistan zurück, das sich auf der gleichen Höhe befindet und doch eine ganz andere Welt ist (siehe Reisebericht Nr. 53: Rad fahren auf dem Dach der Welt).
Leh hat sich definitiv den Touristen angepasst und wir fühlen uns von Anfang an sehr wohl. Die Luft hier ist klarer, die Sonne scheint und irgendwie riecht es auch anders. Das ist nicht das Indien, das wir kennen. Die Menschen sehen anders aus, haben dunkle Haare, tragen oftmals die traditionelle tibetische Tracht und erinnern optisch mehr an Mongolen oder Tibeter. Hätte man uns die Augen verbunden und uns hier abgesetzt, würden wir wohl nicht erraten, dass wir uns immer noch in Indien befinden.
Besonders überrascht sind wir von der ladakhischen Küche, die uns bisher völlig unbekannt war. Wie auch die tibetische Küche sind die Speisen eher einfach, sättigend und energiespendend mit vielen Eintöpfen, Suppen und Teigwaren und generell weniger gewürzt als die indische Küche. Neben den tibetischen Gerichten wie Momos und den Nudelsuppen Thukpa und Thentuk gibt es einige lokale Besonderheiten, die wir euch nicht vorenthalten möchten.
Must-Eats der ladakhischen Küche
- Aprikosen: In Ladakh gibt es die wohl besten Aprikosen der Welt und wir sind im September gerade zur perfekten Saison hier. Überall werden die kleinen Aprikosen, Aprikosenmarmelade, Aprikosensaft, Aprikosenlassi etc. angeboten. So süss haben uns Aprikosen noch nie geschmeckt, sorry Wallis.
- Chu-Tagi: Eine besondere Pasta, die über den Finger gedreht und in der Mitte zusammengeklappt wird und dann in einem Eintopf mit Gemüse und teilweise mit Hammelfleisch gekocht wird.
- Drapu: die beste Vorspeise überhaupt. Kleine Teig-Knödel mit Aprikosenkernen an einer Walnusssauce mit Schnittlauch.
- Khambir: Traditionelles Vollkornsauerteigbrot, das über Nacht gesäuert und im Feuer gebacken wird. Besonders lecker dazu ist Aprikosenmarmelade zum Frühstück.
- Skyu: Skyu unterscheidet sich nicht wesentlich von Chu-Tagi – die Teigwaren sind simpler, werden aus einer gerollten Teigschnur abgerissen, zwischen Daumen und Zeigefinger geformt und ebenfalls in einer „Suppe“ aus Gemüse (oder Fleisch) gekocht.
- Tingmo: Gedämpftes, weiches tibetisches Brot aus Weizenmehl, das oft mit Fleisch, Dhal und Gemüse gereicht wird. Der Teig wird geknetet und dann kunstvoll gefaltet und gedreht.
Daneben gibt es noch gesunde Brennesselsuppen, gesalzenen tibetischen Buttertee (Fazit: sehr gewöhnungsbedürftig), Reisbier und viele weitere lokale Spezialitäten. Es ist jedoch gar nicht so einfach, ein Restaurant mit typisch ladakhischen Gerichten zu finden, oftmals werden indische Küche und internationale Gerichte in den Restaurants angeboten. Drei sehr empfehlenswerte Restaurants für ladakhische Küche sind: De Khambir und Namza Dining in Leh und Alchi Kitchen in Alchi.
Gerne würden wir in Leh gleich ein paar Wochen verbringen und die Umgebung erkunden. Doch wir haben nur eine Woche Zeit in Ladakh, da wir anfangs Oktober Darios Familie in Nepal treffen werden. Und wir können ja nicht die ganze Zeit in der Stadt verbringen, wenn draussen die atemberaubende Landschaft und all die schönen Klöster im Indus-Tal nur so auf eine Erkundung warten. Es gäbe so viel tolles zu sehen in Ladakh: die malerischen Bergseen Tso-Moriri und Pangong-Tso, das Nubra-Tal mit seinen Sanddünen und den seltenen baktrischen Kamelen und das noch abgelegenere mystische Zanskar. Doch dafür bräuchte man mehr Zeit und vor allem bedeutet es viele weitere Fahrstunden und davon haben wir gerade genug. Wir möchten raus in die Natur und diesmal auf eigene Faust und entscheiden uns für eine 3-tägige Wanderung ins Sham Valley.
Sham Valley: Unterwegs in der Wildnis Ladakhs
Der Sham-Valley-Trek ist eine relativ einfache Wanderung, die oft auch als «Baby Trek» bezeichnet wird und vielen als Vorbereitung für eine längere, härtere Wanderung dient. Wir nehmen es als Vorbereitung für Nepal und können nun endlich auch mal ohne Reiseleiter in der Natur unterwegs sein (gar nicht so einfach in Indien). Was uns an dieser Tour besonders reizt, ist der Aufenthalt am Abend in den Dörfern in den Homestays. So können wir einen kleinen Einblick in das Landleben Ladakhs erhalten.
Lange konnten sich die Ladakhis autark von der Landwirtschaft ernähren und auch heute lebt ein überwiegender Grossteil (ca. 85%) der Bevölkerung auf dem Land. Dank der aussergewöhnlichen Sonneneinstrahlung und Bewässerungsanlagen, kann die Landwirtschaft trotz der Höhe zwischen 3000 und 4000 Metern erfolgreich betrieben werden. Die Erntezeit ist aufgrund der harschen klimatischen Bedingungen jedoch nur sehr kurz. Es werden mehrheitlich Weizen und Gerste angebaut sowie in tieferen Lagen Aprikosen und Äpfel. Die Dorfbewohner leben von der Schaf-, Ziegen- und Rinderhaltung und in der kurzen Sommersaison von den Touristen.
Das Leben in diesen Höhen ist einfach, karg und zehrend und wir haben grössten Respekt vor dem, was die Menschen hier ihrem Land abringen und wie viel harte körperliche Arbeit dahintersteckt. Einen wunderbaren Einblick in das Leben der Ladakhis und welche Lektionen wir von dieser abgelegenen Region lernen können, gibt diese Doku auf Englisch: Ancient Futures. Learning from Ladakh.
Ein Taxitransfer bringt uns zum Likir Kloster und von da aus sind wir selbständig unterwegs. Keine Markierung, keine Steinmännchen weisen uns den Weg und wir sind abseits von allem. Kein Dorf, keine Menschenseele begegnet uns während der Wanderung, bis wir abends das kleine Dorf Yangthang erreichen. Wir klopfen bei verschiedenen Häusern an und werden dann im Padma Guesthouse willkommen geheissen in einem schönen Zimmer mit traumhafter Aussicht. Abends wird für uns gekocht und während wir essen, dreht der Besitzer rechts von uns seine Gebetsmühle und murmelt Mantras vor sich hin. Die Verständigung ist schwierig und unser «Ladakhi» auf ca. 10 Wörter begrenzt. Die ladakhische Sprache nutzt das tibetische Schriftsystem und wird von ca. 50'000 Menschen gesprochen (in Indien und Tibet). Die Menschen hier sprechen Ladakhi und Hindi, aber mit Englisch kommt man nicht weit.
Bei einem kleinen Verdauungsspaziergang durch das Dorf erschrecken wir erstmals, denn die mächtigen Dzos (eine Kreuzung aus Yak und Rind, die sich leichter halten lässt als Yaks) haben sich vor dem Hauptschrein auf dem Dorfplatz versammelt und sehen in der Dunkelheit mit ihren Hörner zuerst wie Gestalten aus einem Himalaya-Märchen aus. Über uns leuchten Tausende Sterne und während wir uns später in dicke Decken einmummeln sind wir einfach nur dankbar, solche Orte erleben zu dürfen.
Am nächsten Tag entscheiden wir uns für eine schwierigere Etappe als eigentlich geplant. Wir steuern das Kloster Rizong an und hoffen, dort unsere Wasservorräte auffüllen zu können. Leider treffen wir keine Mönche an. Mit nur wenig Wasser und Proviant folgt für uns nun eine extrem anstrengende Etappe. Es geht auf sehr kleinen Wegen steil bergauf auf einen über 3900 m hohen Pass. Um uns herum eine völlig vegetationslose Landschaft. Kein Zeichen von Leben weit und breit und die Sonneneinstrahlung ist extrem stark. Wir zweifeln an unserem Vorhaben, doch ein Zurück gibt es nicht und somit kämpfen wir uns über den Pass und den steilen Weg wieder hinunter zu unserem Tagesziel, dem hübschen Dorf Hemis Shukpachan. Traditionelle Häuser und Gebetsmühlen, die vom Wasser angetrieben werden, säumen den Weg. Völlig erschöpft und hungrig erreichen wir ein Homestay. Wir sind so dankbar für den Komfort hier und schlafen kurz nach dem Essen ein.
Unser letzter Tag auf dem Sham Valley Trek ist endlich mal einfach und angenehm und bereits an Mittag erreichen wir den Endpunkt der Wanderung, das Dorf Temisgang. Es ist für uns noch viel zu früh und somit beschliessen wir nach Alchi weiterzureisen. Nur hat es keine Taxis weit und breit. Also laufen wir einfach weiter der Strasse entlang und versuchen es mit Autostopp. Das Glück steht diesmal auf unserer Seite, denn wir werden gleich von drei sympathischen Jungs in Schuluniform mitgenommen und kurz darauf von einem netten jungen Paar. Die Frau stammt aus dem fernen Bundesstaat Arunachal Pradesh und der Mann aus Leh. Kennengelernt haben sie sich wohl beim Online-Dating. Gar nicht so anders diese Welt hinter den sieben Bergen. Die Begegnung ist für uns ein schöner Abschluss von unserem 3-tägigen Trek.
Buddhistische Klöster im Indus-Tal
Die restliche Zeit in Ladakh verbringen wir in Leh und unternehmen Besichtigungen zu den sehenswerten Klöstern im Indus-Tal und davon gibt es einige. Noch auf dem Rückweg von unserer Wanderung legen wir einen Halt in Alchi ein, eine der am besten erhaltenen Tempelanlagen im Himalaya mit äusserst seltenen Wandmalereien und Skulpturen aus dem 11. Jahrhundert. Die hervorragend erhaltenen farbenfrohen Wandmalereien zeigen Episoden aus dem Leben Buddhas und sind so lebendig und detailreich, dass wir aus dem Staunen gar nicht mehr rauskommen. Da wir auch im kleinen Dorf Alchi übernachten und erst am späten Nachmittag die Tempelanlage besuchen, haben wir den Ort für uns alleine, ein ganz besonderer Moment.
Einen weiteren Gänsehautmoment in Ladakh erleben wir am frühen Morgen, als wir frühmorgens von Leh aus zum Kloster Thiksey reisen, das architektonisch an den Potala-Palast in Lhasa erinnert und eindrucksvoll auf einem Hügel thront. Das Kloster stammt aus dem 15. Jahrhundert und ist wohl das schönste der ganzen Region mit seinem gelbbraun-roten Tempelkomplex. Doch wirklich besonders wird dieser Ort durch die rund 70 Mönche die hier leben und meditieren. Ein Schauer läuft durch unsere Körper als wir beim Sonnenaufgang den Klang der Muschelhörner vernehmen, mit denen die Mönche zum Gebet aufrufen. Das Echo kommt aus dem ganzen Tal zurück und fährt durch Mark und Bein und mir steigen die Tränen in die Augen.
Anschliessend dürfen wir bei der Gebetszeremonie im Kloster dabei sein. Stundenlang murmeln die Mönche in ihren dunkelroten Roben buddhistische Mantras vor sich hin, unterbrochen von den archaisch klingenden Hörner und Trommeln. Dann laufen die jüngsten Mönche umher und verteilen das Frühstück, das aus Buttertee und Tsampa (tibetisches Gersten-Porridge) besteht. Immer wieder gucken die jüngeren Mönche verlegen in unsere Richtung und kichern. Man hat sich wohl an die anwesenden Touristen hier gewöhnt und doch ist man auch neugierig auf uns. Wir fühlen uns willkommen im Kloster, doch die Geduld der Mönche fehlt uns definitiv und es dauert nicht lange, bis die ersten Touristen sich anfangen hin und her zu bewegen, auf dem Handy zu scrollen und miteinander zu reden, während die Mönche weiterhin murmelnd im Gebet versunken sind. Leise verlassen wir den Raum und bewegen uns zum nächsten Kloster, dem Kloster Hemis.
Im Vergleich zu den restlichen Klöstern liegt Hemis versteckt in einer Felsschlucht und konnte dank seiner Lage von Plünderungen verschont werden. Es ist das grösste und reichste Kloster Ladakhs und vollgestopft mit Kunstschätzen im Museum. Ein Viertel aller Ackerflächen in Ladkah sollen angeblich auch dem Kloster gehören. Jeden Sommer gibt es hier ein grosses farbenfrohes Fest und alle 12 Jahre wird hier auch das grösste Thangka (detailreiches buddhistisches Rollbild) präsentiert. Der nächste Termin soll übrigens 2028 sein, falls ihr zufälligerweise auf der Suche nach einer Reisedestination mit Riesen-Thangka seid:).
Wieder zurück in Leh folgt für uns der krönende Abschluss der Ladakh-Reise, denn zufälligerweise findet gerade das 3-tägige Ladakh Festival statt mit Marktständen, Tanzaufführungen und religiösen Maskentänzen. Wir tauchen nochmals ein in diese besondere Welt im Himalaya, die uns tief berührt hat. Noch lange werden wir an Ladakh zurückdenken und haben keine Sekunde bereut, so spontan diese abgelegene Gegend in unsere Reiseroute eingebaut zu haben. Wir hoffen nochmals wiederzukehren und uns mehr Zeit nehmen zu dürfen. Ein spektakulärer Flug bringt uns über das Himalaya-Gebirge zurück nach Delhi, unter uns die schneebedeckten Berge. Wir schauen uns an, ja, wir haben das Reiseglück im Himalaya wiedergefunden.
Wunderbar, euer Reisebericht!
Herzlichst Annelies
Vielen lieben Dank und herzliche Grüsse nach Bergedorf.
Danke für diesen wundervollen Bericht durch den ihr uns mitnehmt in sehr fremde und beeindruckende Welten!
Habt es gut und genießt euer Reiseleben!
Herzliche Grüße aus dem grau-feucht-kalten Linz!
Vielen lieben Dank für die netten Worte und das ausführliche Mail! Herzliche Grüsse nach Linz aus dem südlichen Indien.
Mit eurem wunderbaren Bericht, habt ihr uns von der grau-nassen Schweiz in eine faszinierend fremde Welt versetzt. Das Foto mit den Mönchen und die Vorstellung der Hörnerklänge über das Tal hinweg ist enorm berührend und lässt uns erahnen wie ihr euch dabei gefühlt haben müsst. Danke fürs Teilnehmen.
Susann &Willi
Vielen Dank fürs Mitreisen und Lesen! Dieser Moment, als wir die Muschelhörner hörten, die ihren Klang über das Indus-Tal verbreiteten, bleibt unvergesslich. Irgendwann wird es dann auch mal ein Video davon geben. Liebe Grüsse aus Mysore.
Liebe Lisa, lieber Dario
einmal mehr sehr eindrücklich Eure Schilderungen. Auf das Muschelhorn-Video freue ich mich schon.
Weiterhin viel Spass und eine sichere Reise
Herzliche Grüsse aus dem Züri-Oberland
Erwin
Vielen lieben Dank Erwin! Das mit dem Muschelhorn-Video dauert noch einen Moment, dafür gibt es in der Zwischenzeit bereits mal ein kleines Video auf Instagram aus Himachal & Ladakh zu gucken. Herzliche Grüsse aus Mysore von uns, Lisa & Dario.
Mysore – klingt nach wärmeren Temperaturen als hier – tendenziell sinkend 🙂 Ich wünsche Euch einen schönen Abend. Herzlichst Erwin
Ich war grad dort und besonders der Sonnenaufgang ums Thiksey Kloster in der Weite des grünen Tals, dem in der Morgensonne leuchtenden Gebirge, dem strahlend blauen Himmel über uns und dem Klang der Muschelhörner berührt mich noch immer… Euer Bericht hätte es nicht treffender beschreiben können… Herzliche Grüße von Thorsten
Namaste Thorsten
Der Sonnenaufgang beim Thiksey-Kloster ist wirklich einmalig und war für uns ein absoluter Gänsehautmoment. Wie schön, dass ihr die Möglichkeit hattet Ladakh zu bereisen. Alles Liebe, Lisa & Dario.