15.01.2023

Pamir Highway: Rad fahren auf dem Dach der Welt (53)

Zentralasien Teil 5: Entlang dem Pamir Highway via Murgab nach Khorog

Aktueller Tipp: Falls ihr gleich mitreisen möchtet, können wir euch die SRF Doku sehr empfehlen: Traumrouten des Orients.

Wir haben eine schlaflose Nacht hinter uns. Vor uns breitet sich das majestätische Bergpanorama des Pamirs aus und wir sitzen wie auf Nadeln ob wir heute die tadschikische Grenze passieren können. Noch nie hat uns ein Grenzübergang so nervös gemacht. Die Grenze war während den letzten Jahren geschlossen und nur mit vielen Spezialgenehmigungen und der Hilfe von Shamurat, einem Guesthouse-Besitzer aus Sary-Tash, war es zwei Australiern gelungen über die Kyzyl-Art-Grenze nach Kirgistan einzureisen. Wir sind die nächsten auf der Liste, nur in die andere Richtung.

Aufgeregt und mit einem flauen Gefühl im Bauch sitzen wir nun mit Shamurat im Jeep und fahren über eine holprige Strasse den Kyzyl-Art-Pass (4280 m) hoch. Unterwegs sehen wir immer wieder Pferde und Yaks und einige Behausungen. Shamurat hat wohlweislich eine Tüte mit Tabak, Coca Cola und Snacks mitgenommen für die Grenzbeamten und somit ist der kirgisische Grenzposten schnell passiert. Die Strasse in Richtung tadschikische Grenze hoch wird immer schlechter und es wäre sehr anstrengend gewesen, diesen Weg mit dem Rad zu befahren. Wir passieren den berühmten Steinbock auf dem Pass und machen ein paar Fotos, doch innerlich ist uns mulmig zumute. Wir haben keine Ahnung was nun gleich am Grenzposten passieren wird und ob wir nach Tadschikistan einreisen dürfen.

Korruption am Ende der Welt

Unser Jeep hält an, wir steigen nervös aus und nähern uns dem Grenzzaun. Nach nur wenigen Minuten ist klar, wir kommen hier nicht durch. Sie haben die Erlaubnis vom Chef nicht erhalten uns einreisen zu lassen und würden Probleme bekommen, da die Grenze ja offiziell nicht wirklich geöffnet ist. Doch nun ist Shamurat in seinem Element und er übergibt seine Geschenke und beginnt zu verhandeln und auch wir schmücken unsere Geschichte etwas aus und finden zahlreiche Gründe, weshalb wir die Grenze heute überqueren müssen. Wir ziehen alle Register, doch nach einer Stunde zähem Verhandeln wird klar, dass wir hier mit logischen Argumenten nicht weiterkommen. Shamurat zieht sich kurz mit einem der Grenzsoldaten zurück und fragt uns dann ganz schüchtern, ob wir bereit wären, USD 100.- für den Genzübertritt zu bezahlen.

Unsere Gedanken spielen verrückt. Endlich sind wir hier oben, nachdem wir zwei Wochen mit all der Administration beschäftigt waren und nun sind wir so nahe am Ziel dran. Aber andererseits, Korruption am Ende der Welt und wir sollen das unterstützen? Das fühlt sich nicht richtig an. Doch wir sind zu erschöpft, um unsere Optionen durchzugehen und eine pragmatische Entscheidung zu fällen und wir reichen dem Grenzsoldaten das Geld, das schnell in seiner Hemdtasche verschwindet. Wir dürfen rein, doch müssen versprechen, die Provinz Murgab mit einem Taxi zu durchqueren und morgen gleich weiterzureisen in Richtung Khorog, um nicht mehr in ihrem Distrikt zu sein. Und dazu kommt noch die Auflage, dass wir niemandem von unserem Grenzübertritt hier oben erzählen dürfen. Natürlich stimmen wir all diesen Auflagen zu und sind völlig aufgeregt als wir endlich den tadschikischen Einreisestempel in unseren Pässen sehen. Die ganze Warterei in Osch und die ganzen Bemühungen haben sich ausgezahlt.

Doch gleichzeitig fühlt sich das alles falsch an und wir sind uns nicht sicher, ob wir die richtige Entscheidung getroffen haben. Was sind wir denn für ein Beispiel, wenn nun alle nach uns kommenden Reisenden wegen uns ebenfalls USD 100.- bezahlen müssen, wo führt das hin? Und doch ist auch diese unglaubliche Aufregung da, denn nun sind wir tatsächlich und eigentlich völlig unverhofft auf dem Pamir Highway auf über 4200 Metern oben und wir verabschieden uns von Shamurat und rollen langsam los in eine Landschaft die sprichwörtlich atemberaubend ist.

Wir sind tatsächlich auf dem Pamir Highway
Wir sind tatsächlich auf dem Pamir Highway

Atemberaubender Pamir-Highway

Wir befinden uns auf dem Pamir Highway, dem legendären Teilstück der Fernstrasse M41, welche durch Kirgistan und Tadschikistan führt. Sie ist die einzige Verbindungsstrasse durch die osttadschikische Provinz Gorno-Badakhshan und mit 4655 Metern nach dem Karakorum Highway die zweithöchstgelegene befestigte Fernstrasse der Welt. Wie der Himalaya und das tibetische Hochland wird der Pamir auch als das Dach der Welt bezeichnet. Der östliche Pamir liegt auf über 4000 m und ist eine völlig karge Landschaft mit nur wenigen Siedlungen und Menschen, die ein Auskommen in einem unerbittlichen Klima gefunden haben.

Der Pamir Highway wurde 1932 von der Sowjetunion als Geschenk an die entlegene Region fertiggestellt und die Nähe zu Afghanistan und China gibt dem Pamir Highway die Aura einer Abenteuerroute. Die Fernstrasse ist ein Sehnsuchtsziel für viele Überlandreisende und eine kleine Zahl Fernradler und noch viel mehr 4x4-Helden und Seidenstrassenromantiker fühlen sich seit jeher angezogen von den einsamen Berglandschaften und der Gastfreundschaft der Menschen entlang der 1250 km langen Strecke von Osch nach Duschanbe. Die meisten fahren jedoch nicht einfach nur der M41 (rote Linie) entlang, denn es gibt zahlreiche Nebenrouten, welche ebenfalls sehr interessant sind. Besonders beliebt ist die Route entlang der afghanischen Grenze im Wakhan Valley (orange) und auch das Shakhdara Tal (hellblau) soll sehr schön sein. Wer das richtige Abenteuer sucht, wagt sich auch ins wilde Bartang Tal (grün) vor, wo man sich auf noch mehr schlechte Strassen, Flussdurchquerungen und viel Einsamkeit gefasst machen muss.

Hilfreiche Übersichtskarte von Caravanistan mit den möglichen Routen
Hilfreiche Übersichtskarte von Caravanistan mit den möglichen Routen

Eine Reise entlang dem Pamir Highway muss gut vorbereitet werden und ist nicht für jeden geeignet. Man muss mit der Höhe, der fehlenden Infrastruktur und der Einsamkeit umgehen können und sollte die Reise nicht unterschätzen, egal mit welchem Transportmittel. Eine Fahrt auf dem Pamir fordert viel Geduld, Komfortverzicht und Ausdauer, doch dafür wird man belohnt mit Ausblicken, Einblicken, Begegnungen und Erlebnissen die wohl einmalig sind. Nur wenige Regionen auf der Erde bieten ein Erlebnis so fern von der Zivilisation wie die Reise entlang dem östlichen Pamir Highway.

Die Strassen auf dem Pamir variieren zwischen Schotterstrassen, Waschbrettpisten und asphaltierten Strassen mit Schlaglöchern
Die Strassen auf dem Pamir variieren zwischen Schotterstrassen, Waschbrettpisten und asphaltierten Strassen mit Schlaglöchern

Die Landschaft ist geprägt von den Kräften der Natur, von Eis und Wasser. Das extreme Klima ist das ganze Jahr über kalt und trocken, im Winter mit eiskalten Temperaturen und im Sommer von Mai bis September mit milden Temperaturen um tagsüber 20° C. Der fehlende Niederschlag beschränkt das Pflanzenwachstum auf winterharte Sträucher und wenige Bäume, nur die tiefer gelegenen Täler haben mehr Vegetation, doch grösstenteils gleicht der Pamir einer kargen Wüste. In den unwirtlichen und dünn besiedelten Gebieten und unter den unerbittlichen Bedingungen des Pamirs leben nur wenige Tiere wie Wölfe, Murmeltiere, die endemischen Marco-Polo-Schafe, Hasen, Murmeltiere, Schneeleoparden und einige wenige wilde Kamele. Während wir Rad fahren sehen wir immer wieder Hasen und Murmeltiere, doch die imposanten Marco-Polo-Schafe halten sich versteckt. Links von uns befindet sich ein kilometerlanger Grenzzaun zu China, der an gewissen Stellen durchlässig ist. Wie leicht hätte man durchgehen können. So nahe waren wir China noch nie.

Hier geht's nach China, natürlich nicht ganz offiziell
Hier geht's nach China, natürlich nicht ganz offiziell

Einsame Landschaften, harter Alltag und unser höchster Pass

Während wir unsere ersten Kilometer auf dem Pamir Highway fahren, können wir unser Glück kaum fassen. Wie gross ist der Zufall, dass genau wir hier oben sein dürfen wo seit Jahren fast niemand mehr unterwegs war? Die ganze Situation ist völlig surreal und dabei lädt ja schon die Landschaft alleine zum Halluzinieren ein, auch ohne die emotionale Achterbahnfahrt, die uns gerade voll erwischt. Wir können nicht mehr weiterradeln, wir müssen uns zuerst mal hinsetzen und das Ganze setzen lassen. Wir gucken uns immer wieder ungläubig an, wir sind hier, wir sind hier!!!

Wie lange haben wir von dieser Strasse geträumt und nun ist es soweit. Und die Landschaft um uns herum ist so spektakulär, so gigantisch, dass wir keine Adjektive dafür finden können, welche dieser Bergwelt gerecht werden. Der Pamir macht uns vom ersten Moment an sprachlos.

Wir sind ganz alleine in dieser menschenleeren Landschaft auf 4200 m
Wir sind ganz alleine in dieser menschenleeren Landschaft auf 4200 m

Wir haben schon viele spektakuläre Landschaften auf dieser Reise gesehen wie Kappadokien in der Türkei oder die Lut-Wüste im Iran, doch irgendwie setzt der Pamir noch eins drauf und ist noch extremer als alles bisher Gesehene. Zudem auch das Wissen, dass wir die einzigen Menschen weit und breit sind und uns auf dieser Strecke von der Grenze bis nach Karakul auch niemand entgegenkommen wird. Soweit weg von allem und allen haben wir uns noch nie gefühlt. Ein befreiendes und erhabenes Gefühl, das aber auch mit viel Respekt vor der rauen Bergwelt einhergeht. Zum ersten Mal radeln wir auf über 4000 Metern Höhe und wir machen uns Sorgen wegen der Höhenkrankheit und müssen unsere Tagesetappen sorgfältig planen, damit wir nicht zu weit oben übernachten müssen.

Die letzten Jahre durften nur wenige Menschen diesen traumhaften Blick auf den Lake Karakul erleben
Die letzten Jahre durften nur wenige Menschen diesen traumhaften Blick auf den Lake Karakul erleben

Unser Ziel für die erste Übernachtung ist das Dorf Karakul am Karakul-See auf 3960 m. Wir sehen das Dorf schon von weit weg und sind überrascht, dass vor der eigentlichen Siedlung rein gar nichts ist. Keine einzige Hütte, kein Bauernhof, keine Tierherden, kein Laden, einfach nichts. Das haben wir so noch nie erlebt. Das Dorf beginnt wirklich erst mit dem ersten Haus. Das entlegene Karakul wird ganzjährig von Kirgisen bewohnt, wie so viele Orte auf dem Pamir-Plateau. Es wird noch einige Tage gehen, bis wir unsere erste Begegnung mit den Tadschiken haben werden. In Karakul sehen wir neben den eingeschossigen Wohnhäusern nur mehrere Wasserpumpen und eine weiss getünchte Moschee, mehr hat es hier nicht, einen Laden sucht man hier vergeblich. Da das Essensangebot auf dem Pamir sehr beschränkt ist, müssen wir sparsam mit unsere Vorräten umgehen, was uns dazu zwingt ab und an in Unterkünften zu übernachten. Entlang dem Pamir gibt es nur wenige Hotels und leider auch keine Jurtencamps mehr. Die Übernachtungen erfolgen in Homestays bei Familien, wo jeweils auch gleich die Mahlzeiten eingenommen werden.

Wir finden dieses Netzwerk von Homestays ein tolles Angebot, da wir somit die Familien hier direkt unterstützen können. Eine Übernachtung in so einem einfachen Homestay inkl. Frühstück und Abendessen kostet jeweils zwischen USD 15.- bis USD 25.- pro Person, je nach Abgeschiedenheit und Angebot. Unsere erste Übernachtung in Tadschikistan im Sadat Homestay ist richtig gemütlich, denn wir haben ein Zimmer für uns alleine und zwei schmale Betten mit dicken Decken. Nur für die Toilette müssen wir uns nachts dick anziehen und raus über die Strasse huschen. Daran müssen wir uns hier gewöhnen. Doch wegen dem Komfort kommt man nicht in diese Gegend und wenn man mal sieht wie die Einheimischen hier oben leben, dann wird man sowieso ganz demütig und bescheiden mit seinen eigenen Wünschen. Denn das Leben hier ist brutal hart und es gibt keine Abwechslung, nicht viele Einflüsse von ausserhalb und nicht viele Möglichkeiten. Da hilft es auch nichts, wenn die Umgebung bei gutem Wetter fantastisch schön ist.

Erst als wir am nächsten Morgen einen Spaziergang durch das Dorf und zum Seeufer machen, beginnen wir zu realisieren, dass wir tatsächlich am Pamir sind. Eigentlich haben wir den Grenzsoldaten ja versprochen, dass wir gleich nach unserer Ankunft in Karakul ein Taxi nach Murgab nehmen und möglichst schnell ihren Einflussbereich verlassen werden, doch wir möchten in unserem eigenen Tempo weiterreisen und diese epischen Landschaften mit dem Rad erleben. Als wir dann jedoch die Grenzbeamten im Wagen durchfahren sehen, bekommen wir einen Kloss im Hals. Sie gucken zwar komisch, doch fahren weiter. Wir atmen auf. Glück gehabt. Wahrscheinlich wird es für uns keine Konsequenzen haben und sie möchten nur nicht, dass sich die Sache mit dem Schmiergeld herumspricht.

Zurück im Homestay treffen wir auf zwei Radreisende aus Finnland, die uns natürlich fragen, woher wir kommen. Nach Karakul gibt es neben dem Pamir Highway von Murgab nur zwei weitere Anreisemöglichkeiten: Entweder durch das wilde Bartang Tal oder von der kirgisischen Grenze her. Und wir können es nicht lassen und erzählen ihnen natürlich von unserer Grenzüberquerung, da sie in die gleiche Richtung reisen möchten. Sie scheinen nicht mal so überrascht, denn auch sie haben bereits den Kontakt zu Shamurat hergestellt und es hat sich auf dem Pamir herumgesprochen, dass er mit der Ausreise über die Grenze nach Kirgistan helfen kann. Doch nicht nur Shamurat bekommt diesen Sommer eine gewisse Berühmtheit, auch uns trifft es. Immer wieder werden wir die nächsten Tage auf Reisende treffen, die von einem ominösen Paar gehört haben, das mit dem Rad die Grenze von Kirgistan nach Tadschikistan überqueren konnte.

Der salzhaltige Lake Karkul ist von November bis April gefroren
Der salzhaltige Lake Karkul ist von November bis April gefroren
Die Reisesaison auf dem Pamir dauert von Juni bis Oktober und im September hatten wir ideales Reisewetter
Die Reisesaison auf dem Pamir dauert von Juni bis Oktober und im September hatten wir ideales Reisewetter

Wir verlassen Karakul und fahren weiter über holprige Waschbrettpisten und umgeben von eindrücklichen Berglandschaften bei schönstem Herbstwetter. Vor uns liegen 130 km Einsamkeit. Wir sehen gerade mal zwei bewohnte Hütten während der ganzen Strecke zwischen Karakul und Murgab. In einer Jurte lebt in den Sommermonaten eine kirgisische Familie mit ihren Yaks. Wir halten an und besuchen sie in ihrer bescheidenen Hütte.

Alle leben zusammen in einer grossen Jurte, die jungen Eltern, die zwei Kinder und der Grossvater. In den Wintermonaten kehren sie zurück nach Karakul. Ich kann nicht umhin die hübsche junge Mutter mit ihren traditionellen Kleidern und den geflochtenen schwarzen Haaren zu betrachten und mich zu fragen, wie ihr Leben an einem ganz anderen Ort verlaufen wäre. Bereits Osch scheint viel mehr als nur 280 km entfernt zu sein, sondern ein ganz anderer Planet. So fern fühlen wir uns hier. Dieses einfache Leben hier oben zu führen in diesem unerbittlichen Klima ist gefühlt das komplett andere Ende vom hektischen und auf Optimierung getrimmten Leben Westeuropas. Ganz andere Alltagssorgen und Überlegungen prägen den Alltag an diesem unwirtlichen Ort. Und doch sind wir in unseren Wünschen vereint. Sowieso lernen wir uns während dieser Reise viel mehr auf die Gemeinsamkeiten zwischen den Menschen zu konzentrieren statt auf die Unterschiede.

Hier lebt die Familie mit ihren Yaks
Hier lebt die Familie mit ihren Yaks
Kleiner Einblick in ein anderes Leben
Kleiner Einblick in ein anderes Leben

Der Grossvater sitzt an einem urtümlichen Gerät mit dem er den Rahm von der Yakmilch trennt. Wir bekommen Brot mit frischen Yakrahm und Yakjoghurt serviert und selten haben so einfache Speisen so gut geschmeckt. Die ideale Stärkung für den bevorstehenden Pass und noch Tage später werden wir von dieser Mahlzeit schwärmen. Es ist eine besondere Begegnung für uns, doch lange können wir unseren Gedanken nicht nachhängen, denn vor uns liegt der Ak-Baital Pass (4655 m), der höchste Pass des Pamir Highways. Wir haben Probleme mit dem Atmen und können uns nur langsam fortbewegen und irgendwann stehen wir tatsächlich so hoch oben wie noch nie auf unserer Reise und staunen darüber, was doch alles mit der eigenen Körperkraft möglich ist. Ein eisig kühler Wind lässt uns jedoch schnell weiterfahren.

Auf der anderen Seite bleibt die Landschaft weiterhin karg und fantastisch schön. Ein paar leerstehende Häuser am Wegesrand dienen als perfekten Windschutz für unsere erste Nacht im Zelt auf dem Pamir. Auf dem Pamir darf man überall sein Zelt aufstellen und auf dem einsamen Plateau finden sich wohl mitunter die schönsten Zeltplätze die man sich vorstellen kann. Die kalte Dusche fällt zwar schwer, doch wir können ziemlich gut schlafen trotz der Höhe und scheinen bisher keine Probleme mit der Höhenkrankheit zu haben. Und dann sind da die Sterne. Nur die Wüsten dieser Welt können wohl mit dem Sternenhimmel am Pamir mithalten. Keine Lichtquelle weit und breit und das Firmament scheint diese Nacht nur für uns aufgespannt zu sein. Als wir am nächsten Morgen aufstehen und um uns blicken sehen wir kein Lebenszeichen, absolute Stille umgibt uns. Diese ersten paar Tage auf dem Pamir machen uns sprachlos und wir kommen aus dem Staunen nicht heraus.

Epischer Zeltplatz mit Blick auf Chinas Berge
Epischer Zeltplatz mit Blick auf Chinas Berge
In dieser Gegend finden sich immer wieder klare Flüsse, an denen wir unsere Wasservorräte auffüllen können
In dieser Gegend finden sich immer wieder klare Flüsse, an denen wir unsere Wasservorräte auffüllen können
Die einsamste Dusche unseres Lebens
Die einsamste Dusche unseres Lebens

Aber hier leben? Nein Danke!

Am vierten Tag erreichen wir die erste richtige Siedlung in Tadschikistan, Murgab. Ein vergessener Aussenposten im östlichen Pamir-Gebirge auf 3600 m über Meer. 10'000 Menschen leben hier, im Winter bei – 40 ° Grad und mehrere Stunden oder Tage über schlechte Pisten von der nächsten Stadt Khorog entfernt. Unser erster Eindruck? Es herrscht eine Wildwest-Atmosphäre mit Läden in behelfsmässigen Containern. Wir unternehmen einen Streifzug und kreuzen eine Frau, die gerade zwei blutende Schafsköpfe in ihr Haus bringt. Kinder mit adretten Schuluniformen und rotzenden Nasen bestaunen unsere Fahrräder und pumpen für uns voller Freude Wasser von den öffentlichen Brunnen. Zum Glück haben wir für solche Fälle immer ein paar Bonbons auf Vorrat dabei.

50% Tadschiken und 50% Kirgisen harren in Murgab aus und machen dabei einen durchaus zufriedenen Eindruck. Die hübschen weissgetünchten Häuser mit den blauen Fensterläden lassen bei strahlendem Herbstwetter etwas Griechenland-Feeling aufkommen mitten im Nirgendwo. Doch der beissende kalte Wind vertreibt unsere Tagträumereien und trotz des schönen Wetters erscheint uns Murgab äusserst trostlos. Ein Ort, um einen Roman zu schreiben, wenn man die Stamina hätte hier länger zu verweilen. Denn eigentlich möchte man sofort weiter.

Die schöne Lage und die weissen Häuser täuschen nicht über die trostlose Atmosphäre hinweg
Die schöne Lage und die weissen Häuser täuschen nicht über die trostlose Atmosphäre hinweg

Entlang der Hauptstrasse reihen sich repräsentative Gebäude mit dem Portrait vom ewigen Staatspräsidenten Emomalij Rahmon (seit 1994!) an der Aussenwand. Kirgisen mit den typischen hohen Kalpak-Hüten fahren mit dem Rad zur Bank, tadschikische Frauen mit geblümten Kopftüchern kaufen frische Yakbutter ein und ein paar modische junge Frauen mit guten Englischkenntnissen helfen uns eine SIM-Karte und das notwendige Permit für den Zorkul Nationalpark zu besorgen.

Doch so einfach wie das gerade klingt war es natürlich nicht, denn zuerst war mal wieder der zentralasiatische Spiessroutenlauf angesagt. Dabei wird man von Gebäude zu Gebäude weiterverwiesen und niemand fühlt sich zuständig, während man langsam die Geduld verliert, doch hoffentlich nie den Humor. Denn bei unserem Spiessroutenlauf des Tages landen wir auf der Suche nach der richtigen Stelle im neusten Museum von Murgab, dem Museum für das majestätische Marco-Polo-Schaf. Voller Stolz werden wir in den einzigen Raum geführt mit seinen ausgestopften Tieren aus der lokalen Fauna. Ein Mann ist gerade dabei die LED-Lampen auszupacken. Wir müssen ab der Situationskomik lachen und geben uns alle Mühe voller Ehrfurcht die ausgestellten Tiere zu betrachten. Ob es das Museum als Sehenswürdigkeit in die neue Ausgabe vom Lonely Planet schafft? Kurz später bekommen wir dann aber tatsächlich am richtigen Ort die Erlaubnis, das abgelegene Zorkul Reservat zu besuchen.

Einchecken im Hotel Pamir. Die edelste Option im östlichen Pamir. Steckdosen, ein richtiges Bett und ein eigenes Badezimmer mit Teppich am Boden (!). Internet? Prädikat: Äusserst launisch. Wir legen einen Pausentag ein und stocken unsere Vorräte auf und kochen auch gleich selber, denn das Essen im Hotel und den wenigen vorhandenen Lokalen schlägt uns ziemlich direkt auf den Magen. In Murgab geht Liebe definitiv nicht durch den Magen. Grosse Portionen Hühnerfleisch und fettige Pommes, fade Suppen mit einem undefinierbaren Fleischkloss und altes Brot. Doch auch das Einkaufserlebnis ist sehr ernüchternd und nach mehreren Stunden kehren wir gerade mal mit einem grossen Kürbis, Karotten, Zwiebeln, Äpfel und Birnen zurück ins Hotel. Das muss an Frischprodukten ausreichen für die nächste Woche, mehr ist hier nicht zu bekommen. Auch an das alte Brot werden wir uns gewöhnen müssen und während unseren 35 Tagen in Tadschikistan erhalten wir gerade zweimal frisches Brot. Wann auch immer der offizielle Brotbacktag ist, wir scheinen ihn während der ganzen Zeit zu verpassen. Es bleibt bis heute eines der Rätsel dieser Reise.

Als Radreisender hat man ja die Tendenz bei längeren Etappen in entlegenen Gegenden, den nächsten grösseren Ort hochzustilisieren im Sinne von «Wenn wir endlich in XY sind, dann können wir wiedermal in ein gutes Café gehen, wir können ein kühles Bier trinken, in einem grossen Supermarkt einkaufen und es hat mehrere Restaurants zur Auswahl.» Das motiviert und diese Vorfreude ist extrem wichtig für die Moral. Doch auf dem Pamir Highway beschränkt sich diese Vorfreude auf Dinge, wie «Im nächsten Dorf gibt es anscheinend einen Brunnen und wir können mal wieder unseren Wasservorrat auffüllen.» Wir geben es zu, es ist nicht einfach und wir beginnen bald die einfachsten Dinge zu vermissen und natürlich auch zu schätzen.

So karg und lebensfeindlich die Landschaft ist, ist es auch kein Wunder, dass es hier keine Gewächshäuser und Frischeprodukte gibt. Man trinkt Tee, heizt mit Kuhdung ein und die Ernährung ist sehr einseitig und fettreich. Wir sind nur Beobachter an diesem ungewöhnlichen Ort in einer spektakulären Umgebung und fragen uns, wie es wäre hier länger zu leben. Wir könnten es nicht.

Kirgisen auf dem Container-Markt
Kirgisen auf dem Container-Markt

Tadschikistan gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Seit der Unabhängigkeit Tadschikistans prägten Bürgerkriege und der Kampf um Unabhängigkeit die Provinz Gorno-Badakshan. Immer wieder kommt es zu gewaltsamen Unruhen in der Autonomen Provinz und die Landesregierung kappt über mehrere Monate das Internet und es kommt zu ethnisch motivierten Massenverhaftungen. Armut und territoriale Unsicherheit bremsten den Fortschritt, bis China mit seiner Expansionspolitik in den Westen begann und 2004 die Grenzen für den Handel öffnete. Seitdem rollen die Lastwagen in beide Richtungen und China investierte 2/3 des BIP Tadschikistans in den letzten Jahren. Die neue Handelsroute riss das Land aus der lange währenden Isolation und es zeichnet sich ein Wandel ab. Trotzdem haben Grossfamilien, die enge Gemeinschaft und die gegenseitige Hilfe einen hohen Stellenwert und die Pamiris sind berühmt für ihre Gastfreundschaft. Die jungen Menschen sind gut ausgebildet und orientieren sich klar nach China und lernen eher Mandarin statt Englisch. Einen guten Einblick über das Leben am Pamir und die Verbindung zu China vermittelt diese Doku von arte: Tadschikistans Plastikstrasse.

Wasserpumpe in Murgab
Wasserpumpe in Murgab

Ende unserer Radreise mitten im Nirgendwo

Wir sind froh, als wir Murgab nach zwei Tagen wieder verlassen können. Wir haben unsere Genehmigung für das Zorkul Reservat in der Tasche und freuen uns auf diese besondere Route. Der Plan ist nach 30 km auf dem Pamir Highway die bereits sehr wenig befahrene Hauptstrasse zu verlassen und einem kleinen Schotterweg in den Weiler Jarty Gumbez zu folgen und von dort weiter in das Zorkul Naturreservat zu fahren, wo sich neben einer fantastischen Szenerie auch die berühmten Marco-Polo-Schafe und baktrische Kamele aufhalten sollen. Diese völlige Einsamkeit an einem bereits sehr entlegenen Ort reizt uns und natürlich auch die Herausforderung. Von solchen Abenteuern haben wir ja nun seit Jahren vom Sofa aus geträumt und nun ist es soweit.

Kurz nach Murgab geht es mit der fantastischen Landschaft weiter
Kurz nach Murgab geht es mit der fantastischen Landschaft weiter

Als wir von der Fernstrasse M41 verlassen, fühlen wir uns das erste Mal seit wir von der Schweiz losgefahren sind auf einer richtigen Abenteuerreise. Es ist unfassbar still um uns und wir sehen keine Spuren von Zivilisation weit und breit. Nur ab und zu huschen ein paar Hasen durch und dann wird es immer kühler und es beginnt zu schneien und die Sicht wird immer schlechter. Der Gedanke bei diesem Wetter zu zelten ist nicht sehr motivierend und somit freuen wir uns, als wir auf einem kleinen Hügel eine verlassene Schäferhütte entdecken. Die Hütte ist überraschend aufgeräumt und besitzt zwei Räume, wenn auch keine Fenster. Rund um die Hütte liegen die eindrücklichen Hörner von Marco-Polo-Schafen. In den Wintermonaten werden sie leider zur Jagd für ausländische Touristen freigegeben. Wir stellen unser Zelt in dem grösseren Raum auf, packen die Campingstühle aus und kochen uns ein leckeres Essen und gucken dabei immer wiedermal raus, wer weiss, vielleicht sehen wir noch einen Schneeleoparden?

Es ist die absolute Einsamkeit, die wir auf dieser Reise auch irgendwie gesucht haben. Und so sehr, dies vielleicht nach Romantik und Abenteuer klingen mag, müssen wir zugeben, dass es auch eine mentale Herausforderung ist und nicht ganz einfach mit dieser Einsamkeit umzugehen. Mit der Distanz zu Mitmenschen wächst auch der Respekt vor der unberechenbaren Natur und das Wissen, dass wir bei Krankheit und Unfall aufgeschmissen wären. Diese Gedanken ganz abzustellen fällt nicht leicht und da ist natürlich auch immer noch die Höhe, denn wir zelten nun regelmässig auf über 4000 Metern.

Wir fahren in die absolute Einsamkeit in Richtung Zorkul Reservat
Wir fahren in die absolute Einsamkeit in Richtung Zorkul Reservat
An solchen Orten sind GPS und Offline-Karten unabdingbar
An solchen Orten sind GPS und Offline-Karten unabdingbar
Letzter Übernachtungsplatz am Pamir
Letzter Übernachtungsplatz am Pamir
Diese einsame Hütte bot uns Unterschlupf vor dem Schneesturm
Diese einsame Hütte bot uns Unterschlupf vor dem Schneesturm

Am nächsten Morgen erwartet uns ein kleiner Schneesturm und es ist ziemlich unangenehm als wir uns weiter in Richtung Jarty Gumbez bewegen. Dort soll es heisse Quellen geben und wir denken nur noch ans Ankommen, doch plötzlich spüre ich, dass etwas mit meinem Hinterrad nicht stimmt. Mehrere Speichen sind lose und dann entdecke ich das Problem: die Hinterradnabe ist gebrochen. Das ist ein Defekt, den wir nicht selber reparieren können, wir benötigen eine komplett neue Hinterradnabe. Wir realisieren in wenigen Sekunden, dass somit unsere Radreise beendet ist und wir nicht mehr weiter auf dem Pamir Highway fahren können. Der Traum vom Pamir ist geplatzt.

Und dann passiert am entlegensten Ort unserer Reise das Unmögliche: zwei Autos mit japanischen Touristen kommen vorbei. Wahrscheinlich der einzige Verkehr hier seit Tagen. Wir haben keine Zeit zu überlegen und halten sie an und bitten sie, mich und das kaputte Rad nach Murgab zu nehmen. Dort haben wir vielleicht Internetzugang und die Möglichkeit alles weitere zu organisieren. Da sie leider nur Platz für ein Fahrrad hatten, ist Dario gezwungen, in der Zwischenzeit mit dem Rad zurückzufahren. Erst während der Fahrt wird uns beiden bewusst, was gerade passiert ist.

Die gebrochene Hinterradnabe beendet unsere Reise
Die gebrochene Hinterradnabe beendet unsere Reise

Lisas Gedanken im Jeep und zurück in Murgab:

Während der Fahrt kreisen meine Gedanken unaufhörlich und mir schwirrt der Kopf. Was heisst das nun, wie geht es weiter, was sollen wir tun? In solchen Momenten funktioniere ich einfach nur und versuche das Emotionale nicht an mich ranzulassen. Ich bin nur dankbar, dass wir mitten im Nirgendwo auf wunderliche Weise Hilfe gefunden haben. Gleichzeitig mache ich mir etwas Vorwürfe, da ich doch ein paar Mal über das schlechte Essen, die Anstrengung und Einsamkeit am Pamir geflucht habe, doch niemals wollte ich, dass die Reise so abrupt endet. Ist es nun Karma, dass auf uns zurückkommt, weil wir nicht ganz legal eingereist sind?

Ungewollt sitze ich wieder zurück im Hotel Pamir mit dem Teppich im Bad und dem launischen Internet und während ich auf Dario warte, versuche ich die nächsten Tage zu planen. Schnell ist für mich klar, wir müssen Murgab sobald wie möglich verlassen, denn in den letzten Tagen ist es zu Schiessereien an der kirgisischen und tadschikischen Grenze gekommen und im Grenzort Sary-Tash werden bereits Raketenwerfer stationiert. Das ist die Grenze, die wir erst vor einer Woche passiert haben. All das ist irgendwie unheimlich und ich möchte nicht mehr länger auf dem Pamir-Plateau verweilen, so spektakulär es auch ist.

Mit einem brodelnden Grenzkonflikt, der um die Ecke lauert möchte ich nur noch zurück in die Zivilisation, wo wir mehr Möglichkeiten zum Agieren haben. Dazu kommt gerade die allgemein instabile Situation mit massenweisen Russen, die vor der Mobilisierung nach Zentralasien fliehen, ein erneuter Konflikt um Berg-Karabach im Kaukasus und dann natürlich noch die Protestwelle im Iran. Es ist eine unruhige Zeit im September 22 und es fällt schwer, sich davon nicht beeinflussen zu lassen. Und gleichzeitig relativiert das Weltgeschehen auch wieder die eigenen Probleme wie ein kaputtes Rad.

Entfernung ab Murgab zu den nächsten Ortschaften
Entfernung ab Murgab zu den nächsten Ortschaften

Darios Gedanken beim Rad fahren zurück nach Murgab:

Plötzlich bin ich ganz alleine, inmitten dieser weiten und menschenleeren Landschaft, 20 km entfernt vom Pamir Highway und 50 km von Murgab, mitten im Nirgendwo. Und als dann auch noch ein bissig kalter Wind aufkommt, der Eisregen gegen meine kalten Wangen schleudert und ich realisiere, dass ich nicht einfach wärmere Sachen anziehen kann, denn mein ganzes Gepäck ist bei Lisa im Auto, da fühle ich mich plötzlich ganz klein und verletzlich. Aber dann sage ich mir, dass ich ja einfach nur weiter Rad fahren muss, dann würde ich sicher nicht erfrieren und früher oder später in Murgab ankommen. Es kann mir also eigentlich gar nichts passieren, und mit dieser Erkenntnis trete ich noch etwa stärker in die Pedale. Bisweilen auch zu stark, denn ich werde auf der holprigen Waschbrettpiste immer wieder so richtig durchgeschüttelt.

So quäle ich mich bis zum Pamir Highway über die schlechte Schotterstrasse. Dort angekommen realisiere ich plötzlich: Hey, das war es mit dem Rad fahren auf dem Pamir, denn eine solche Radnabe wird man in ganz Zentralasien nicht finden und reparieren geht nicht. Somit werden wir auch Jarty Gumbez nie sehen, einen Ort, den wir von Videos von anderen Radreisenden kennen, der so abgelegen ist, dass wir den lange nicht mal auf der Karte gefunden haben. Und wir werden nie in den tollen, heissen Quellen dort baden, so schade. Ich hadere mit unserem Schicksal, wir hatten so viel Zeit und Energie investiert, um jetzt hier zu sein, bei einem der Höhepunkte unserer Reise und weshalb muss gerade hier etwas kaputt gehen, das wir nicht selber reparieren können.

Wir hatten abgesehen von platten Reifen noch fast keine Defekte auf unserer Reise, warum gerade jetzt und so etwas. Warum konnte nicht einfach eine Speiche kaputt gehen, wie bei anderen Radreisenden? Für viele Fälle sind wir ausgerüstet mit reichlich Ersatzmaterial, aber natürlich haben wir keine Ersatznabe dabei. Warum nur? Mit diesen Fragen quäle ich mich über den Pamir Highway und kämpfe gleichzeitig mit dem starken und kalten Gegenwind. Ich möchte so schnell wie möglich in Murgab sein, um Lisa zu helfen, denn es wartet einiges an Arbeit auf uns und zudem macht sie sich bestimmt Sorgen um mich.

Am späten Nachmittag sind wir endlich wieder vereint im warmen Hotelzimmer und buchen einen Taxi-Transfer am nächsten Morgen nach Khorog, der Provinzhauptstadt im Pamir. Dort werden wir hoffentlich stabileres Internet haben und alles weitere planen können. Viel schneller als gedacht werden wir nun also das Pamir-Plateau verlassen. Nur gerade 10 Tage waren uns auf dem berühmten Pamir Highway gegönnt, wenn auch völlig unverhofft.

Eine ganz gewöhnliche Taxi-Fahrt auf dem Pamir Highway

Eine Jeepfahrt nach Khorog klingt simpel und viel gemütlicher als Rad fahren, doch auch dies kann sich als ziemliches Abenteuer herausstellen. Aus dem ursprünglich angedachten Privattransfer für uns und das kaputte Rad nach Khorog wird eine Reise, bei der regelmässig zahlreiche Passagiere ein- und aussteigen. Zuerst sind nur unsere Räder samt Gepäck auf dem Dach, kurz darauf aber auch ein Sack voller Fleisch und dann noch eine noch lebende Ziege, die in einer sehr ungemütlichen Position stundenlang auf dem Dach mitfährt und erbärmlich meckert sobald wir anhalten. Kurz vor Khorog wird sie einem Einheimischen übergeben und losgebunden, Schicksal ungewiss. Ebenfalls mit von der Partie ist ein lustiger Geologe, der in einem ehemals russischen Sanatorium mitten auf der M41 aussteigt. Ganz begeistert kommentiert er immer wieder das Bergpanorama links und rechts und wir zeigen ihm Bilder von den vergleichsweise mickrigen Schweizer Alpen. Sein mitleidiger Blick ist Gold wert als wir ihm erklären, dass unser höchster Berg gerade mal 4634 Meter hoch ist.

Im grünen Sack neben der Ziege befindet sich haufenweise Fleisch
Im grünen Sack neben der Ziege befindet sich haufenweise Fleisch

Zwei junge Studenten sind auch noch von der Partie. Einer davon arbeitet als Englischlehrer in Khorog und war gerade zu Besuch in seinem Dorf, in dem er sich um seine 60 Yaks kümmerte. Er wird von seinen Freunden in Khorog überschwänglich begrüsst. Auch der Macker auf dem Beifahrersitz, der während der Fahrt über drei Liter Bier leert und seine Kürbiskerne bald nicht mehr aus dem Fenster, sondern in den Jeep schmeisst, wird liebevoll von seiner Mama in Khorog in den Arm genommen. Und natürlich dürfen wir unseren Fahrer nicht vergessen, der sich als Gangster bezeichnet und mit einer ganzen Reihe Goldzähne ausgestattet ist.

Unsere bunt zusammengewürfelte Truppe kommt nach einer 8-stündigen Fahrt gut in Khorog an und wir sind dankbar, dass wir keine Panne erlitten und alles geklappt hat. Plötzlich sind wir umgeben von mildem Herbstwetter, vielen Menschen und Läden und lassen uns erschöpft auf unser bequemes Hotelbett fallen. So haben wir uns die Pamir-Reise nicht vorgestellt.

Die letzten Monate haben uns gelehrt mit schwierigen Situationen umzugehen und nach vorne zu blicken und dankbar zu sein, für alles was wir bisher erleben durften. Es lohnt sich nicht etwas nachzutrauern, das nicht mehr ist, das zieht einem nur runter. Nie hätten wir gedacht, dass wir tatsächlich diesen Sommer auf dem Pamir Highway fahren dürfen und solche einsamen und majestätischen Landschaften mit dem Rad erleben werden. Und dafür sind wir einfach nur unglaublich dankbar. Doch unser Pamir-Abenteuer ist noch nicht ganz zu Ende und im nächsten Reisebericht erzählen wir euch von unserer Fahrt entlang der afghanischen Grenze.

Rückblick auf den zweiten Tag am Pamir, als wir noch voller Vorfreude auf das bevorstehende Abenteuer waren
Rückblick auf den zweiten Tag am Pamir, als wir noch voller Vorfreude auf das bevorstehende Abenteuer waren
In Khorog: Wir sind dankbar, sind wir so ein gutes Team
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12 Antworten zu “Pamir Highway: Rad fahren auf dem Dach der Welt (53)”

  1. Danke für diesen sehr bewegenden Bericht! Wir sind sehr froh, daß ihr gesund und sicher auch aus diesem wilden Abenteuer heraus gekommen seid!
    A&B

    • Vielen Dank. Wir sind natürlich auch sehr froh, dass alles so gut gekommen ist. Noch oft denken wir an diese Zeit auf dem Pamir zurück. Liebe Grüsse aus Indien.

  2. Zugegeben, ich lese nicht alle Berichte vollständig. Es sind ja so viele und umfangreiche.
    Dieser hat mich aber besonders fasziniert und ich bewundere eure Stamina und Gelassenheit. Viel Glück auf der Weiterreise.

  3. Liebe Lisa, lieber Dario
    Schön wieder einen Reisebericht von Euch zu lesen. Ich habe mich zwischendurch gefragt wie Ihr unterwegs noch an Infos zu Beiträgen auf „Arte“ kommt.
    Ich beneide Euch ja oft um Eure Reise in Asien aber auf diesen Teil hätte ich gerne verzichtet so phantastisch die Gegend auch aussieht.
    Solltet Ihr im Februar einen Abstecher auf die Malediven (ohne Velo 😉 ) machen können/wollen so gebt Bescheid. Es wäre toll Euch zu treffen.
    Herzliche Grüsse Erwin

    • Lieber Erwin

      Wir gucken regelmässig Dokus, um uns auf die kommende Etappe vorzubereiten und Arte ist dafür eine gute Wahl. Diese unbeschreibliche Gegend auf dem Pamir muss man sich tatsächlich etwas verdienen und auf Komfort verzichten können, doch es lohnt sich sehr. Gibt natürlich auch die Variante, das ganze etwas gemütlicher mit einem privaten Fahrer zu machen. Auf die Malediven kommen wir wohl eher nicht, aber falls ihr im Februar einen Abstecher nach Sri Lanka machen möchtet, noch so gerne. Liebe Grüsse aus Goa, Lisa & Dario.

  4. Ihr Lieben
    Was für ein bewegender Bericht! Als Leser erlebt man eure Achterbahn der gegensätzlichen Gefühle hautnah mit.
    Diese atemberaubenden Bilder und Erfahrungen werden sich bestimmt fest in eure Erinnerungen einprägen und für zukünftige Entscheidungen richtungsweisend sein.
    Wir sind mit euch zusammen sehr dankbar um den glücklichen Ausgang dieser Reise Etappe. Susann und Willi

    • Vielen Dank für die liebevollen Worte, wir schätzen das sehr. Auch wir sind dankbar, dass alles gut ausgegangen ist und wir uns bald wiedersehen können. Liebe Grüsse aus Indien von uns.

  5. Boah – was wieder ein klasse Bericht. Diesmal musste ich ihn an einem Stück lesen, wollte doch wissen, wie das Abenteuer ausgegangen ist. Bei uns fällt ja schon auch mal der Satz „einmal auf dem Pamir Highway sein bzw. fahren“ – aber das spricht sich auf der Couch vorm Rechner oder Fernseher natürlich leicht. Ich bin nicht sicher, ob ich „kopftechnisch“ so frei sein könnte, um das dort Sein tatsächlich zu genießen. Es beginnt ja schon mit eurer abenteuerlichen Grenzüberquerung … . Aber sei’s drum – wir haben ja eure Reiseberichte und können uns so etwas hineinfühlen. Bin schon auf den nächsten gespannt.

    • Liebe Mandy, was für ein Kompliment. Wir hätten nie gedacht, dass jemand unsere langen Reiseberichte gleich auf einmal durchliest, danke! Vom Sofa aus fühlt man sich immer mehr als AbenteurerIn als im echten Leben, das geht uns auch so. Wenn wir eine Landkarte vor uns liegen haben, möchten wir alle möglichen spannenden Wege erkunden, doch die Realität ist dann immer anders. Der Pamir ist wirklich hart, sogar mehr mental als körperlich. Körperlich hatten wir schon anstrengendere Etappen auf der Reise, aber man darf die Höhe natürlich nicht unterschätzen und, dass man unter diesen Bedingungen keine zu langen Tagesdistanzen planen kann. Aber landschaftlich ist der Pamir eine Wucht und kulturell auch sehr spannend, auf diesen Aspekt werden wir im nächsten Bericht mehr eingehen.

  6. Vielen lieben Dank für den ausführlichen und umfangreichen Reisebericht. Ihr vermittelt einen sehr realistischen Einblick in diese Gegend in Zentralasien, ohne dabei romantisch das Erlebte zu verklären. Es ist einfach erstaunlich, wie extrem im 21. Jahrhundert die Gegensätze auf der Welt sind.
    Hat sich der Hersteller eigentlich zu dem Nabenbruch geäußert. Ich bin schon erstaunt, welche Belastungen die schwer beladenen Fahrräder gerade auf solch einer Waschbrettpiste aushalten oder eben auch leider nicht…

    • Vielen Dank für die lieben Worte Klemens. Der Hersteller der Nabe hat uns angeboten, die Nabe nach Deutschland zu senden, damit sie es genau anschauen können was passiert ist. Doch das hätte viel zu viel Zeit und Aufwand bedeutet von Tadschikistan aus. Wir haben dann eine Ersatznabe bestellt, aber das ist eine andere Geschichte:). Wie es genau zu dem Nabenbruch gekommen ist, wissen wir auch nicht, aber Rad fahren auf dem Pamir hat sicher nicht geholfen.

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