Griechenland Teil 1: Von der bulgarischen Grenze bis nach Rhodos
Pelikane, Sesamkringel und Familientreffen (14)
Wir schreiben diesen Bericht mit Blick auf Olivenbäume und den weiten Horizont in Patara in der Südtürkei unserem Winterquartier und reisen gedanklich noch einmal zurück in den Oktober und zu unserem monatigen Aufenthalt in Griechenland. Ja, wir haben tatsächlich 30 Tage in Griechenland verbracht und doch ist uns dieses eigentlich traumhafte Reiseziel nicht so besonders lebhaft in Erinnerung geblieben im Vergleich zu Kroatien oder Albanien. Lag es daran, dass wir vergleichsweise nur wenige Kilometer mit dem Fahrrad gereist sind und dabei nicht unserer Wunschroute gefolgt sind? Dadurch haben wir gar nicht so viel von Griechenland mitbekommen wie wir uns gewünscht hätten und zudem haben wir die meiste Zeit auf Inseln verbracht. Das könnte durchaus eine Rolle spielen, denn ohne Covid-Einschränkungen hätten wir viel mehr von Griechenland mit unseren Rädern erfahren und dadurch sicher einen bleibenderen Eindruck vom Land mitgenommen. Aber beginnen wir beim Anfang. Wir nehmen euch nun mit zurück zu unserer Reise in den griechischen Herbst.
Wir erreichten Griechenland am 06.10.20 an einem wolkenverhangenen Tag und landeten kurz nach der Grenze erstmals auf der Autobahn, denn eine andere Strasse gab es nicht.
Auch die freundlichen Mitarbeiter von der Mautstelle winkten uns einfach lachend durch. Wir wollten die Autobahn sobald wie möglich wieder verlassen und nahmen die erste mögliche Abzweigung nach rechts, ein Fehler, denn bald landeten wir auf einem Wiesenweg mitten im Nirgendwo. Genau hier, in einem schattigen Loch und abseits von allem befand sich ein Flüchtlingscamp. Es gab nichts rundherum, keine Läden, keine Versorgung, nur sumpfige Wiesen und ein paar Schafherden mit aggressiven Hirtenhunden. Wir fuhren rasch weiter, denn wir wollten durch unsere Anwesenheit keine Aufregung verursachen und keine voyeuristischen Beobachter sein, oder wäre unsere Ankunft im Flüchtlingscamp vielleicht doch eine willkommene Abwechslung gewesen in diesem monotonen Alltag? Wir fuhren weiter und fragten uns einmal mehr, in was für einer Welt wir eigentlich leben, in der Chancen und Privilegien so unfair verteilt sind. Wir dürfen die Situation vor Ort einfach kurz beobachten und dann weiterfahren, immer der Nase nach, wo uns das Rad hinführt. Und die Menschen, die hier leben? Wie so oft kreisten unsere Gedanken um solche Fragen beim Fahrradfahren, denn wir haben mehrere Stunden am Tag Zeit, um einfach nur nachzudenken, auch das an sich ein absoluter Luxus. Wir schweifen wohl etwas ab, doch auch dies ist ein Teil von unserer Reise, das Gesehene hinterlässt bei uns nachhaltige Spuren und wir können auch vieles verarbeiten bei dieser Art des Unterwegsseins und es werden sicher noch viele intensive Eindrücke kommen, je weiter wir uns auf der Komfortzone heraus in Richtung Osten bewegen.
Erste Eindrücke von Griechenland: Katzen, Wasserbüffel und Pelikane
Wir erreichten Neu-Petritch, unsere erste griechische Siedlung und uns fiel auf, dass es nun wieder überall Brunnen gab, an denen wir frisches Wasser nachfüllen konnten und somit weniger auf die ungeliebten Plastikflaschen angewiesen sind. Ebenfalls omnipräsent waren die vielen Katzen überall, die unsere treuen Begleiter werden würden. Unsere Mägen knurrten und wir fragten im Dorfzentrum nach einer Taverne und wurden in eine versteckte Gasse geführt, wo wir von Olympia und ihrem Mann bewirtet und mit Erzählungen aus ihrem Alltag beschenkt wurden. Dazu gab es Raki und ein Dessert durfte auch nicht fehlen. καλως ηρθες στην ΕΛΛΑΔΑ – Willkommen in Griechenland.
Wir übernachteten im Weiler Kerkini am Kerkini-See. Die zerstreute Siedlung mit einigen Restaurants und einem Supermarkt hatte irgendwie ein besonderes Flair und strahlte viel Ruhe aus. Der Kerkini-See ist ein beliebtes Ausflugsziel für Naturfreunde und Ornithologen, denn viele Zugvögel überwintern hier und es gilt als eines der bedeutendsten Feuchtgebiete Europas. Zudem leben am Seeufer Wasserbüffel und wir haben die grasenden Riesen aus der Ferne beobachten können, viele schwarze Punkte, die sich nur langsam bewegten. Büffelmilchjoghurt soll hier eine Spezialität sein, die wir jedoch verpasst haben. Wir übernachteten in einem Bungalow und es stellt sich heraus, dass unser Zimmernachbar ein Musiker aus dem Iran ist, der in Thessaloniki den Zahnarzt besucht und eigentlich in Stäfa im Kanton Zürich wohnt. Logisch. Damit hätten wir nicht gerechnet. Wir haben uns über die spontane Begegnung sehr gefreut. Am nächsten Morgen unternahmen wir zum Sonnenaufgang bei kühlen Temperaturen einen Bootsausflug auf dem See und sahen dabei Pelikane und Flamingos und genossen die Landschaft und die morgendliche Stille. Kerkini ist so ein Ort, wo man länger bleiben und sich einfach treiben lassen, ein Buch schreiben und sich der Kreativität widmen könnte. Jedenfalls hinterliess es diesen Eindruck bei uns.
Thessaloniki – eine charmante Hafenstadt
Zwei Tage später erreichten wir nun wieder bei strahlendem Sonnenschein das Meer und Thessaloniki, die zweitgrösste Stadt Griechenlands (360'000 bzw. im Ballungsraum bis zu 1.1 Millionen Einwohner) und unsere bisher grösste Stadt auf dieser Reise. Nach vielen Tagen auf dem Land und in kleinen Orten genossen wir nun wieder die Urbanität und die vielen Möglichkeiten einer Grossstadt. Leider fühlte Dario sich nicht gut und kämpfte mit einer Erkältung und Lisa ging alleine auf Stadtentdeckung. Ein besonderes Gefühl nach fast drei Monaten Reise plötzlich mal wieder alleine unterwegs zu sein. Thessaloniki hat definitiv Flair mit dieser grossartigen Mischung aus Alt und Neu.
Mitten zwischen den weissen Hochhäusern finden sich alte Kirchen, Moscheen und Reste von einem römischen Kaiserpalast. Die Stadt lebt, pulsiert und die vielen stylishen Cafés und Bars sind voller Menschen, die das gute Wetter und den Blick auf das Meer und die Hafenpromenade geniessen. Man kann alles gut zu Fuss erkunden, die Stadt ist sehr übersichtlich und an jeder Ecke gibt es Sesamkringel und Café Frappé zu kaufen. Auf dem Kapani Markt fühlt man sich teilweise schon im Orient mit dem Angebot an getrockneten Früchten, Nüssen, Datteln und kitschigen Tapeten. Wenige Strassen weiter ist man in Ladadika, dem Hafen- und Ausgangsviertel mit vielen Restaurants und Bars, auf dem alten Hafengelände finden sich das Foto- und das Kunstmuseum und die beliebte Kitchen Bar und unter dem weissen Turm sitzen verliebte Paare und Teenager balancieren wagemutig auf der Slackline. Piratenschiffe laden kostenlos auf eine 30-minütige Hafentour ein mit Sicht auf die eindrückliche Promenade, dem Herzen der Stadt. Konsumation an Bord natürlich äusserst erwünscht.
An der Tsimki Strasse reiht sich ein Geschäft an das nächste und um die Ecke läuft man unter dem Galeriusbogen durch entlang dem alten römischen Hippodrom und erreicht so die Rotunde, einen imposanten Kuppelbau, der als Mausoleum, Kirche und Moschee diente und in dem man bei leiser klassischer Musik plötzlich ganz weit weg ist vom Trubel der Stadt. Als Dario sich besser fühlt, erkunden wir gemeinsam die Agios Dimitrios, eine der wichtigsten frühchristlichen Kirchen der Stadt, die auf den Ruinen einer römischen Therme erbaut wurde und zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt. Sie ist ein wichtiges Pilgerziel, da sie dem Schutzpatron der Stadt, dem heiligen Dimitrios, gewidmet ist. Nach dem grossen Feuer 1917 und den darauffolgenden Renovierungsarbeiten wurde auch die eindrückliche Krypta freigelegt, die besichtigt werden kann.
Wir steigen immer weiter hoch in Richtung Ano Poli, der Altstadt von Thessaloniki. Hier bietet sich plötzlich ein ganz anderes Bild. Die weissen Hochhäuser weichen plötzlich osmanisch angehauchten Häusern mit Erkern und kopfsteingepflasterten engen Gassen, die zwischendurch immer wieder eine grossartige Sicht auf die darunterliegende Stadt und das Meer bieten. Ganz zuoberst auf dem Hügel befinden sich noch Überreste der Stadtmauer und die Zitadelle mit ihren Wehrtürmen, die bis in die späten 70er Jahre als politisches Gefängnis diente. Es macht Freude, diese Stadt zu erkunden, die definitiv einen Besuch lohnt. Was sicher auch zu unserem positiven Eindruck von Thessaloniki beitrug ist unsere grossartige Unterkunft The Caravan B & B, mit dem wohl umfangreichsten Frühstück, das wir bisher erlebt haben und den hilfsbereiten Mitarbeitern. Wir dürfen während unserer Reise nach Rhodos unser Gepäck und unsere Fahrräder im Hotel zurücklassen und uns sogar auch ein Paket an das Hotel senden lassen, denn wir warten immer noch auf einen neuen Reifen für Dario.
Inselauszeit auf Rhodos
Bereits bei der Planung unserer Reise vor einigen Monaten haben wir uns überlegt, dass Rhodos ein idealer Ort wäre, um uns im Herbst zu besuchen. Da rechneten wir natürlich damit, dass die Fähre von Rhodos nach Marmaris in der Türkei verkehren würde. Da der ganze Fährservice zwischen den Ländern eingestellt wurde und Lisas Eltern ihre Reise nach Rhodos bereits gebucht hatten, flogen wir nun vom 11.- 20.10.20 von Thessaloniki aus nach Rhodos. Ein komisches Gefühl, plötzlich in einem Flugzeug zu sitzen. Der Flieger war voll, alle mit Masken unterwegs und es war völlig in Ordnung, auch wenn wir die Anreise mit dem Boot natürlich bevorzugt hätten. Wir freuten uns riesig auf das Wiedersehen und eine Auszeit am Meer bei 26° Grad. Wir verbrachten 9 Nächte zusammen in einem Apartment, badeten im noch warmen Mittelmeer, genossen die griechische Küche und unternahmen Ausflüge in den Touristenmagneten Lindos, ins Schmetterlingstal und nach Rhodos-Stadt.
Wir waren wohl seit Dubrovnik nicht mehr so beindruckt von einer Stadt wie von der Altstadt von Rhodos mit ihrer bewegten Geschichte. Noch heute sieht man Zeugnisse der byzantinischen, osmanischen und italienischen Vergangenheit an jeder Ecke. Durch eine imposante Stadtmauer erreicht man die UNESCO-geschützte Altstadt und bei einem Spaziergang entlang der Stadtmauer bietet sich tolle Ausblicke in die schmalen Gassen und die mit Blumen geschmückten Innenhöfe der Häuser. Am idyllischen Mandraki-Hafen stehen noch einige alte Windmühlen, was jedoch fehlte ist der Koloss von Rhodos, eine riesige Bronzestatue, von der bis heute jede Spur fehlt und die zu den Sieben Weltwundern der Antike zählt. Sehr imposant war auch die Strasse der Ritter, die am besten erhaltene mittelalterliche Strasse Europas, die vom Grossmeisterpalast bis zur Stadtmauer am Hafen verläuft. Hier befanden sich im Mittelalter die Herbergen der Ordensritter und man kann die unterschiedlichen Ordenswappen an den Häusern ausmachen. Natürlich gab es auch viel Touristenkitsch, wie nicht anders zu erwarten und doch waren wir alle völlig positiv überrascht von dieser schönen Stadt.
Es war gerade Ende Saison und am 24.10 würde der letzte Charterflug in die Schweiz zurückfliegen und trotzdem waren noch einige Touristen unterwegs, so viele wie wir schon lange nicht mehr gesehen hatten. Alle Restaurants und Bars waren geöffnet, ein Bild, das wir in Zukunft noch missen würden. Doch am wunderschönen langen Sandstrand von Traganou waren wir fast alleine.
Wir entwickelten unsere Morgenrituale, Lisa joggte auf jeden möglichen Hügel mit Kloster hoch, Willi las den Rhodos-Reiseführer beim Kaffee trinken und Susanne und Dario sprangen frühmorgens ins Meer. Man traf sich dann anschliessend am Strand und schmiedete weitere Pläne für den Tag. Dabei sahen wir auch immer dieselben einheimischen Rentner, die laut palavernd jeden Morgen im Meer sassen und danach ihren Café Frappé tranken. Etwas Aufregung in diesen Alltag kam bei ihnen nur auf, als einer eine Krabbe fing. Also alles sehr gemächlich. Daran könnten wir uns gewöhnen. Ist dies ein Vorgeschmack auf unser Rentnerleben?
Es war wunderbar, so viel Zeit miteinander verbringen zu dürfen und gemeinsam Bilder und Videos unserer Reise anzuschauen und aus dem unterschiedlichen Alltag zu erzählen. Wir wollten ursprünglich eigentlich an unserem Blog arbeiten, aber die gemeinsame Zeit hatte Priorität und wir genossen es einfach, uns soviel Zeit für einander zu nehmen. Das tat richtig gut und es war die richtige Entscheidung nach Rhodos zu fliegen. Erneut hatten wir Reiseglück und Griechenland war eines der wenigen Länder, in das Reisen aus der Schweiz zu dieser Zeit überhaupt möglich war ohne Quarantäne. Der Abschied fiel schwer, denn noch ist unklar, wann wir uns wiedersehen würden. Vielleicht in Georgien im Frühling? Schön wärs.
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