27.07.2021

Reise durch das unbekannte Ostanatolien (25)

Türkei Teil 10: Von Kappadokien bis an die georgische Grenze

Ostanatolien – das ist jene karge Gebirgslandschaft und windgepeitschte Hochebene welche Schriftsteller wie Yasan Kemal und Orhan Pamuk inspiriert haben und auch einige Filme spielen in dieser wenig bereisten Gegend der Türkei. Ostanatolien, das ist oftmals näher dran am Iran oder dem Kaukasus als an Istanbul und nicht nur kilometermässig weit entfernt vom touristischen Mittelmeer. Und auch wenn wir nicht genau wissen, wo genau dieses Ostanatolien nun anfängt oder endet so fühlte sich unsere Reise durch den türkischen Osten an, als wären wir in einer komplett anderen Welt gelandet als auf der bisherigen Reise. Alles was sich zwischen Kappadokien und der georgischen Grenze befindet war uns unbekannt, ein weisser Flecken auf der Karte und es war das erste Mal auf dieser Reise, dass wir länger ohne grosse touristische Infrastruktur auskamen und dazu machten uns die hügelige Topographie und Temperaturen über 40° Grad zu schaffen.

Wir brauchten insgesamt 26 Tage für diese Strecke und sie war psychisch und physisch anstrengend und oftmals wünschten wir uns an einen anderen, einen einfacheren Ort. Aber wenn wir nun im Nachhinein die Bilder dieser Etappe anschauen, dann müssen wir uns eingestehen, es war landschaftlich spektakulär, wir fanden wunderschöne Zeltplätze und die türkische Gastfreundschaft überbot sich nochmals selber in dieser Ecke und nun nehmen wir euch also mit auf diese Strecke zwischen Kappadokien und der georgischen Grenze.

Die karge ostanatolische Hochebene
Die karge ostanatolische Hochebene

Gastfreundschaft & besondere Campingplätze

Kappadokien zu verlassen fiel uns nicht einfach, denn so eine einmalige Landschaft werden wir wohl nicht mehr finden und dazu regnete es auch noch und der Himmel war bewölkt. Trotzdem freuten wir uns darauf, wieder unterwegs zu sein und diesen anderen Teil der Türkei zu bereisen. Sobald wir die Hauptstrassen verlassen, erreichen wir abgelegene Dörfer und die Menschen reagieren durchwegs positiv auf uns und wir werden regelmässig zum Çay eingeladen. An einem Abend finden wir einen besonderen Campingplatz an einem Stausee beim Dorf Küllü. Vom alten Dorf am See sieht man nur noch die Ruinen und schon von weitem erspähen wir eine grüne Fläche und somit einen potentiellen Übernachtsungsplatz. Doch erst als wir unten ankommen, bemerken wir, dass sich hier der Dorffriedhof befindet. Wir schlagen unser Zelt zwischen Friedhof und See auf und können überraschend ruhig schlafen. Am nächsten Morgen schieben wir unsere Fahrräder wieder hoch ins Dorf und werden zugleich vom Gemeindevorsteher zum Çay eingeladen. Trotz unserem eingeschränkten türkischen Vokabular können wir uns relativ gut mit ihm unterhalten. Doch irgendwann kommt der Punkt, wo die Konversation über die üblichen Small Talk Themen hinausgeht und er von uns wissen möchte, was wir von Palästina und Hitler halten und wir verabschieden uns schnell mit der Ausrede, dass wir noch einen weiten Weg bis in die Stadt Kayseri vor uns hätten.

Hier das alte, überflutete Küllü
Hier das alte, überflutete Küllü

Nach einer kleinen Shoppingtour durch Kayseri führt uns unsere Route am nächsten Tag an unserem ersten Salzsee vorbei, dem Tuzla Gölü. Leider ist dieser nur schwer erreichbar und wir können nicht mit den Fahrrädern auf dem See fahren und unternehmen daher einfach einen kurzen Spaziergang auf der salzigen Kruste, welche von nahem viel schlammiger ist und gar nicht mehr schön weiss, sondern eher gräulich wirkt. Die Landschaft ist fantastisch mit weiten grünen Weiden, durchzogen von Blumen und dem Salzsee in der Ferne.

Der Tuzla Gölü
Der Tuzla Gölü
Von Nahem sieht er nicht mehr so schön weiss aus
Von Nahem sieht er nicht mehr so schön weiss aus

Wir werden immer wieder von der türkischen Gastfreundschaft überrascht, die uns in diesem Teil der Türkei nochmals überwältigt, denn oftmals wird uns kommentarlos aus dem Auto heraus eine Trinkflasche oder ein Snack überreicht. Natürlich möchten wir auch etwas zurückgeben und haben dann auch endlich mal die Chance dazu. Immer wieder sehen wir sehr einfache Zelte in der Landschaft stehen, meist neben einer Trinkwasserquelle. Wir denken zuerst an syrische Flüchtlinge und treffen dann bei einem Brunnen auf ein paar Frauen. Es stellt sich heraus, dass sie Erntehelferinnen aus der südlichen Provinz Sanliurfa sind und hier saisonal arbeiten. Sie sind sehr neugierig und würden sich wohl gerne noch etwas länger mit Lisa unterhalten, aber der Fahrer ruft zur Arbeit auf dem Feld. Wir überlegen kurz, was wir ihnen geben könnten und finden noch eine Schachtel mit Keksen aus einer Patisserie und überreichen sie ihnen. Endlich dürfen wir auch mal etwas weiterschenken. Kurz darauf hält aber wieder ein Auto an und der Fahrer überreicht uns Snacks und Cola. Soviel zum Thema Karma, wobei das in der Türkei nicht wirklich aufgeht, denn man wird immer viel mehr bekommen als man gibt.

Der Tag wird noch besser, denn wir sehen auf der Karte, dass sich in der Nähe vom Ort Maksutlu ein Stausee befindet und fahren dorthin hinauf und werden positiv überrascht, denn der See bietet eine tolle Campingmöglichkeit und wir haben unsere Ruhe, wenigstens bis am nächsten Morgen gleich drei Kuhherden nacheinander sabbernd bei unserem Zeltplatz durchlaufen, wie immer begleitet von einem Hirten mit Esel und Pferd.

Am Morgen kamen mehrere Kuhherden an unserem Zeltplatz vorbei
Am Morgen kamen mehrere Kuhherden an unserem Zeltplatz vorbei

Auf kleinen Strassen fahren wir weiter entlang der Strecke des «Dogu Express». Diese Zuglinie verbindet innerhalb von 24 Stunden Ankara mit dem fernen Kars. Die Bahnreise wurde die letzten Jahre immer beliebter und viele junge Leute versuchen ein begehrtes Ticket zu ergattern, um dann ihre Reise auf Instagram zu dokumentieren. Wer sich für diese schöne Bahnstrecke interessiert, findet hier eine Doku über die populäre Fahrt: Dogu Express.

Einsame Wege
Einsame Wege

Prächtige Architektur in Sivas

Nach fünf Tagen erreichen wir die Stadt Sivas (ca. 374'000 Einwohner), eine Station der alten Seidenstrasse und wir sind positiv überrascht ab der lebendigen Atmosphäre und den prunkvollen Koranschulen. Auf dem Hauptplatz fühlen wir uns bereits etwas nach Zentralasien versetzt mit all den seldschukischen Gebäuden mit islamischen Ornamenten, türkisfarbenen Kuppeln und Innenhöfen mit Cafés. Am eindrucksvollsten ist die Gök Medrese aus dem Jahr 1271, die erst gerade frisch restauriert wurde und uns mit der Eingangstür aus Marmor und Mustern aus blauen Mosaiksteinen bezaubert. Um unsere Weiterreise in die Osttürkei etwas abzukürzen überlegen wir uns kurz, eine Strecke mit dem Zug zu fahren bis nach Erzurum oder sogar bis nach Kars, aber der Bahnhof ist eine riesige Baustelle und anscheinend verkehren aktuell ab Sivas gar keine Züge mehr. Uns bleibt also nichts anderes übrig, als mit dem Fahrrad weiterzureisen.

Die prächtige Gök Medrese
Die prächtige Gök Medrese
Die Buruciye Medresesi erinnert uns an Zentralasien
Die Buruciye Medresesi erinnert uns an Zentralasien
Das monumentale Tor einer ehemaligen Koranschule
Das monumentale Tor einer ehemaligen Koranschule

Über die fehlende Motivation auf gewissen Strecken

Nach Sivas erwarten uns ein paar Tage mit Regen und Gewitter und es ist teilweise schwierig für Lisa, sich für die Weiterreise bis zum nächsten Etappenziel Bayburt zu motivieren und entsprechend kann auch Dario diese Etappe nicht so geniessen wie sonst. Wir müssen uns wohl einfach eingestehen, dass nicht alle Tage auf so einer langen Radreise immer genial und toll sind und wir haben viele Diskussionen miteinander, da diese Strecke unsere Nerven strapaziert. Plötzlich stehen wir vor generellen Fragen was unsere Weiterreise und die Art der Radreise betrifft. Wir möchten ganz klar beide weiter mit dem Fahrrad durch die Welt reisen, doch irgendwie fehlt gerade die nötige Inspiration, obwohl die Landschaft abwechslungsreich und teilweise sehr schön ist und die Menschen weiterhin sehr gastfreundlich und grosszügig. Doch die Infrastruktur fehlt, man kann nicht einfach plötzlich irgendwo in ein schönes Restaurant einkehren und das höchste der Gefühle ist es mal irgendwo einen Çay zu trinken. Es ist unangenehm sich einzugestehen, dass einem manchmal der westliche Komfort fehlt bzw. die (zu) vielen Möglichkeiten, die wir von der Schweiz kennen. Und gleichzeitig reisen wir ja genau deshalb, um an solche Orte zu kommen, die einem herausfordern und eben genau aus der Komfortzone locken. Das sind dann viele Emotionen die aufeinandertreffen, denn eigentlich möchte man mit allen Sinnen jeden Tag auf dieser Reise geniessen und trotzdem ist es manchmal nicht möglich und man ist dadurch ab sich selber frustriert und genervt.

Diese schwierigen Tage lassen uns dann aber dafür umso mehr die kleinen Dinge am Wegesrande schätzen und als wir an einem Nachmittag erschöpft bei einem kleinen Teestand unseren Çay trinken kommen wir mit dem netten Ehepaar Feride und Selatin ins Gespräch. Die beiden haben einen kleinen Bioladen mit Produkten aus ihrem grossen Garten. Stolz zeigen sie uns alles und wir dürfen sogar unser Zelt bei ihnen aufstellen und werden mit einem leckeren Abendessen und einem noch besseren Frühstück verwöhnt. Diese Begegnung gibt Lisa wieder die nötige Motivation für die letzte Strecke bis nach Bayburt und ihr Lächeln kam auch wieder zurück.

Feride & Selatin vor ihrem Garten
Feride & Selatin vor ihrem Garten

Ausflug ans Schwarze Meer

Der Provinzort Bayburt (ca. 82'000 Einwohner) liegt am Fluss Çoruh und unterhalb von einer eindrücklichen Burg, die wir aber nicht besuchen, denn Dario überrascht Lisa zu ihrem Geburtstag mit einem Ausflug an die Schwarzmeerküste. Es ist Zeit für eine Abwechslung vom Fahrrad fahren und eine andere Landschaft und somit verbringen wir sehr spontan vier Tage an der Küste und können unsere Räder in der Zwischenzeit im Hotel in Bayburt lassen.

Bayburt mit seiner Festung
Bayburt mit seiner Festung

Lisa wollte schon immer mal das Sumela Kloster besuchen und gemäss der Karte sind wir ziemlich nahe dran und daher beschliessen wir an ihrem Geburtstag dorthin zu reisen. Wir überqueren von Bayburt her einen Pass und landen plötzlich in einer anderen Welt, überall ist es grün, fast schon tropisch und wir sehen wieder richtige Wälder. Nach Tagen umgeben von einer kargen Landschaft ist dies richtig erfrischend und wir freuen uns sehr, hier zu sein. Eine steile Strasse führt immer tiefer in den Wald hinein bis zum Parkplatz vom Kloster. Das ehemalig griechisch-orthodoxe Sumela Kloster wurde im 4 Jhr. n.Chr. wie ein Schwalbennest auf über 1000 Meter Höhe an eine steile Felswand gebaut. Leider ist das spektakuläre Kloster wegen einer mehrjährigen Renovation geschlossen und wir können es nur von Aussen betrachten und ein paar Fotos machen.

Das Sumelakloster liegt total spektakulär
Das Sumelakloster liegt total spektakulär

Wir sind etwas enttäuscht und hoffen dafür umso mehr auf ein feines Abendessen in der Stadt. Wir fahren mit dem Taxi bis nach Trabzon (Einwohner ca. 808'000), ein ehemals wichtiger Handelspunkt der Seidenstrasse und heute eine geschäftige Hafenstadt. Wir erfrischen uns kurz im Hotelzimmer und erkunden dann die lebhaften Einkaufsstrassen der Stadt. Leider hat die Stadt trotz der Lage am Meer keine Promenade oder Restaurants am Meer und auch keinen Stadtstrand, eigentlich etwas schade. Somit verbringen wir Lisas Geburtstag zwar am Meer, aber trotzdem irgendwie nicht so richtig. Und wir stellen fest, dass es auch in einer grossen Stadt wie Trabzon nicht möglich ist zum Abendessen ein Glas Wein oder Bier zu bekommen. Viele Orte scheinen keine Alkohollizenz zu haben und daher gibt es dann ein Bier im Supermarkt und wir stossen dann endlich von unserem Balkon aus auf Lisas Geburtstag an, der irgendwie nicht ganz so verlief wie geplant.

Da uns Trabzon viel zu hektisch ist, reisen wir am nächsten Tag weiter mit dem Bus. Wir haben uns ja mal kurz überlegt, ob wir entlang dem Schwarzen Meer bis nach Georgien fahren möchten und sind sehr froh, uns dagegen entschieden zu haben. Der vierspurige Highway wäre keine Freude mit dem Fahrrad. Es gibt keine Strände und alles ist verbaut und wir hätten wohl auch nicht so leicht einen Zeltplatz gefunden. Vom Busfenster aus staunen wir ab der subtropischen Landschaft und den vielen Teefeldern, die sich um die Stadt Rize herum erstrecken. Zwischendurch kommen immer wieder Nebelschwaden von den Bergen herunter und es ist eine komplett andere Szenerie, die uns richtig in den Bann zieht. Wir fahren einem Fluss entlang in die Berge und sehen unterwegs mehrere osmanische Steinbrücken. In der Gegend von Çamlıhemşin übernachten wir drei Nächte in einem Bungalow mitten in einer Teeplantage und entspannen uns.

Unser Tiny House inmitten von Teeplantagen
Unser Tiny House inmitten von Teeplantagen

An einem Tag unternehmen einen Ausflug mit anderen Touristen zu den höher gelegenen Sommeralpen, die auf türkisch den schönen Namen Yaylas tragen. Viele Gäste an der Schwarzmeerküste kommen von der arabischen Halbinsel und so ist im touristischen Dorf Ayder auch alles auf Arabisch angeschrieben. Wir fühlen uns etwas an die Schweizer Alpen erinnert mit den ganzen Holzhäusern, den grünen Wiesen und den Kühen. Der Ort ist sehr beliebt und es gibt zahlreiche Restaurants und viele Gäste flanieren in ihren schönsten Kleidern umher und posieren für Selfies. Je weiter wir in die Höhe fahren, umso mehr Nebel zieht auf und somit sehen wir leider bei der Yayla Huser keinen spektakulären Sonnenuntergang, sondern nur gerade noch den Weg vor uns. Überall erkennen wir andere Menschen im Nebel, die gemütlich ihren Tee trinken und ihren Maiskolben essen und das Bergklima geniessen. Ein abwechslungsreicher Tag geht zu Ende, als wir singend mit den anderen Gästen im Minibus wieder zurückfahren in unseren Bungalow.

Immer noch sehr happy zusammen
Immer noch sehr happy zusammen
In Ayder sieht es fast so aus wie in den Schweizer Bergen
In Ayder sieht es fast so aus wie in den Schweizer Bergen

Es ist für uns eine ganz andere Türkei hier oben, denn im Nordosten lebt die Minderheit der Hemsin und Lasen, die ursprünglich aus dem Kaukasus kommen. Sie sprechen neben Türkisch ihre eigene Sprache, die der südkaukasischen Sprachfamilie angehört und fallen auf durch ihre teilweise sehr hellen Augen und die Frauen tragen besondere Kopftücher mit silbernen Münzen dran. Für uns ist es total interessant, diese Kultur etwas kennenzulernen. Am Abend lauschen wir gebannt dem traditionellen Musikinstrument, der Tulum, einer Art Dudelsack, während wir das traditionelle Käsegericht Muhlama probieren, das aus Mais und Käse besteht und eher gewöhnungsbedürftig ist. Generell gibt es an der Schwarzmeerküste viele besondere Gerichte, die man ansonsten in der Türkei nicht erhält. Besonders lecker finden wir Kaygana, eine Art leichter Pfannkuchen mit Frühlingszwiebeln oder Dolma Lahana, mit Reis gefüllt Kohlblätter. Wir kaufen uns hier auch lokalen Honig, sehr passend, denn in dieser Gegend wurde der Film Bal (Honig) gedreht (zum Filmtrailer). Es fühlt sich an, als wären wir in eine völlig andere Welt eingetaucht nachdem wir von Bayburt den Pass überquert haben und es ist eine richtig schöne Auszeit für uns, die uns wieder Energie gibt für die letzte Etappe bis nach Georgien.

Das traditionelle Musikinstrument der Hemsin, das Tulum
Das traditionelle Musikinstrument der Hemsin, das Tulum

Fahrt entlang dem Çoruh River nach Yusufeli

Wieder zurück in Bayburt, geht es weiter mit unseren Fahrrädern dem Fluss Çoruh entlang bis nach Artvin. Wir haben das erste Mal in diesem Jahr mit richtig heissen Temperaturen zu kämpfen um die 40° Grad und das in einer kargen schattenlosen Landschaft. Wir kommen körperlich oft an unsere Grenzen, denn jeder Fahrtag bietet einige Höhenmeter in dieser Gegend. Kurz nach dem Provinzort Ispir wird es unerträglich heiss und wir kühlen uns kurz im Fluss ab und lernen dabei zwei nette junge Türken kennen, die uns noch mit Snacks beschenken und uns in ihr Dorf einladen. Doch der Umweg in ihr Bergdorf wäre mit vielen weiteren Höhenmetern verbunden gewesen und somit müssen wir diese Einladung leider ausschlagen.

Der Weg ging rauf und runter
Der Weg ging rauf und runter

Wir fahren weiter und treffen auf einen Mann im Businessanzug, der uns warnt, dass es die nächsten 50 km keinen Supermarkt und kein Wasser gibt und uns sogar anbietet, uns wieder zurück nach Ispir zu fahren, damit wir dort noch einkaufen könnten. Wir sind nun doch etwas verunsichert, denn wir haben definitiv zu wenig Wasser, damit es für 50 km reichen würde bei diesen Temperaturen. Doch wir trauen mal wieder unserem Bauchgefühl, dass es sicher eine Lösung geben wird und fahren weiter und kurz darauf sehen wir am Wegesrand einen Brunnen und überglücklich füllen wir unsere Vorräte auf. Wir finden einen schattigen Campingplatz am Fluss, erfrischen uns im Wasser und stellen uns auf eine ruhige Nacht ein. Doch mitten in der Nacht weckt uns ein schriller Alarm auf, der nicht aufhören wollte. Entlang dem Fluss Çoruh gibt es mehrere Stauseen und es wurde ein Alarmsystem an der Strasse eingerichtet, dass bei einer Veränderung des Wasserstandes Alarm schlägt. Wir sind völlig verunsichert und machen uns alle möglichen Gedanken und sind bereits kurz davor, alles um 03.00 Uhr morgens zusammenzupacken und zu rennen, falls der Staudamm gebrochen wäre und wir gleich weggeschwemmt würden. Doch irgendwie erschien uns das auch im Halbschlaf eher unlogisch und somit vertrauen wir mal wieder darauf, dass schon alles in Ordnung sein würde. Nach weiteren 15 Minuten hören die Sirenen auf und wir versuchen irgendwie weiterzuschlafen, was uns verständlicherweise eher schwerfällt. Völlig übermüdet stellen wir dann am Morgen fest, dass tatsächlich Wasser abgelassen wurde und der Wasserstand am Fluss einiges höher war, aber nicht besorgniserregend. Glück gehabt.

Im Hintergrund einer der vielen Stauseen im Çoruhtal
Im Hintergrund einer der vielen Stauseen im Çoruhtal
Kurz vor Yusufeli wurde das Tal grüner
Kurz vor Yusufeli wurde das Tal grüner
Wird auch diese Burg überflutet?
Wird auch diese Burg überflutet?

Die Landschaft wird immer wilder, karger und schöner und die Dörfer erinnern an grüne Oasen. Kurz vor Yusufeli beginnt die gigantische Baustelle für den dritthöchsten Staudamm der Welt, der 2021 eröffnet werden und fünf Prozent des türkischen Energiebedarfs decken soll. Es ist nur eines von vielen überdimensionalen Infrastrukturprojekten der Regierung und schon viele Orte mussten den umstrittenen Staudammprojekten weichen wie unter anderem Hasankeyf im Südosten der Türkei. Dieses Schicksal droht nun auch dieser Gegend. Über unserer Strasse wird an neuen Brücken und einer viel höher gelegenen Strasse gebaut und wir fahren somit eigentlich schon fast durch die Vergangenheit, denn bereits in einem Jahr soll das hier alles geflutet sein.

Wir treffen auf drei Türken, die aus eigener Tasche einen Dok-Film über die Gegend drehen und sie meinten, dass sich die Einwohner mit dem Umzug abgefunden haben, denn eine andere Lösung gibt es nicht und das Urteil ist schon lange gefällt und weiter oberhalb vom Fluss steht bereits Yeni-Yusufeli, das neue Dorf, wohin die 7000 Einwohner wohl bald umziehen müssen. Umso überraschter sind wir, wie lebendig und eigentlich auch charmant Yusufeli noch daherkommt. Irgendwie unvorstellbar, dass dies alles bald weichen soll.

Unsere letzten Eindrücke der Türkei: Zahlreiche Tunnels und ein PCR-Test

Entlang von Erdoğan-Postern verlassen wir Yusufeli und machen uns gefasst auf eine weitere anstrengende Strecke durch die vielen Tunnels bis nach Artvin im Nordosten der Türkei. Auf dieser Etappe gibt es während 75 km über 40 Tunnel zu durchfahren und wir haben irgendwann aufgehört sie zu zählen. Die ersten Tunnels gehen teilweise bergauf und sind sehr staubig und wir fahren mitten durch die Baustelle für den neuen Yusufeli-Staudamm, auch von dieser Seite ein gigantisches Projekt. Es ist heiss und stickig und wir hätten am liebsten Autostopp gemacht, doch zum Glück folgen einige angenehmere und modernere Tunnels und der Verkehr lässt auch etwas nach. Zwischen den kühlen Tunnels brennt die Sonne schonungslos auf die karge Steinwüste, die immer wieder unterbrochen wird von Stauseen. Da der Wasserstand im Sommer niedrig ist, haben wir sogar das Glück eine ansonsten geflutete Moschee zu sehen. So wird wohl auch mal Yusufeli aussehen, nur noch Gebäudefragmente werden aus dem Wasser ragen. Erst kurz vor Artvin ändert sich die Landschaft wieder und wir sehen die ersten grünen Hügel und das Klima wird wieder subtropisch feucht. Wir wachen am nächsten Morgen mit Augenringen und Muskelkater auf und können uns fast nicht mehr bewegen, denn die letzten Tage waren so richtig anstrengend und daher entscheiden wir sehr spontan, einen Pausentag einzulegen.

Normalerweise sieht man von diesem ehemaligen Dorf nichts mehr
Normalerweise sieht man von diesem ehemaligen Dorf nichts mehr
Dieses Dorf wirkt wie eine Oase am Hang
Dieses Dorf wirkt wie eine Oase am Hang

Danach geht es weiter für die letzten Kilometer durch die Türkei und wir sehen bald wieder osmanische Brücken und die wunderschönen Wälder, die wir von der Schwarzmeerküste her kennen und plötzlich befinden wir uns auf einer rasanten Abfahrt in einem über 5 km langen Tunnel und werden kurz vor Hopa wieder ausgespuckt und sind umgeben von Teeplantagen. Wir versuchen gleich beim Krankenhaus unser Glück für den obligatorischen PCR-Test für Georgien, der aber erst am nächsten Tag möglich ist und somit wird klar, dass wir zwei Nächte in Hopa verbringen müssen. Wir hatten zwar von anderen Radreisenden von einem tollen Warmshowers-Host westlich von Hopa gehört, doch es ist bereits spät und wir zu müde, um noch mehr Kilometer zu machen. Also suchen wir uns eine Bleibe in der Stadt und versuchen es am nächsten Morgen nochmals mit dem Test. Doch wie immer sind in der Türkei alle administrativen Dinge eher kompliziert. Und so muss man zuerst bei einer Bank im Stadtzentrum eine Einzahlung fürs Krankenhaus machen und kommt erst dann zu einem Termin. Nun geht dies leider nicht mit unseren europäischen Bankkarten und somit versuchen wir es nochmals direkt im Krankenhaus. Zuerst werden wir abgewimmelt, aber dann haben sie doch Mitleid mit uns und begleiten uns zu einem Bankomaten und erledigen die Zahlung für uns. Nach einem überraschend schmerzhaften PCR-Test heisst es abwarten bis wir am Abend die Resultate abholen können.

Wir nähern uns wieder der Schwarzmeerküste
Wir nähern uns wieder der Schwarzmeerküste

Wir schlendern entlang der Promenade und setzen uns auf ein paar Steine und blicken aufs Meer. Nach acht Monaten in der Türkei ist es nun für uns Morgen soweit, es geht weiter in den Kaukasus nach Georgien, unserem elften Land auf der Reise. Niemals hätten wir gedacht, dass wir solange in der Türkei bleiben würden. Wir sind überaus dankbar, dass wir die Möglichkeit hatten, eine Aufenthaltserlaubnis zu beantragen und das Land so intensiv kennenzulernen. Viele Kleinigkeiten und Eigenheiten kommen uns nochmals in den Sinn, wie das nach jedem Restaurantbesuch reichlich Eau de Cologne auf die Hände gegeben wurde, oder dass einem in allen Situationen «Afiyet Olsun» also einen guten Appetit gewünscht wurde, auch wenn man nur Wasser trank. Natürlich denken wir auch nochmals zurück an die unglaubliche Gastfreundschaft und die abwechslungsreichen Landschaften und die absoluten Highlights wie Ephesus, den Lake Bafa, die lykische Küste und natürlich Kappadokien. Niemals hätten wir gedacht, dass die Türkei so abwechslungsreich ist und wir kommen sicher wieder zurück. Doch nun sind wir auch voller Vorfreude auf eine andere Kultur, Landschaft und Küche und freuen uns auf das nächste Kapitel. Wir holen unsere negativen Test-Resultate ab, beladen unsere Fahrräder und machen uns auf nach Georgien.

Hopa, die letzte grössere Stadt vor der georgischen Grenze
Hopa, die letzte grössere Stadt vor der georgischen Grenze

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